Berliner Szenen
: Vererbungslehre

Bis auf die Unterhose

Wenn sie ihn dann heiratet, kann sie mit ins Stadion gehen

Fup wird zum Geburtstag eingeladen. Von Leni. Und ich denke, die armen Kinder heißen jetzt wieder wie ihre BDM-Urgroßmütter. Fup ist nur mäßig begeistert. „Da sind ja nur Mädchen“, sagt er. Er erinnert mich an den „kleinen Nick“ von René Goscinny und Jean-Jacques Sempé, von dem wir alle Folgen schon mindestens zehnmal angeguckt haben. Möglicherweise ist da etwas hängen geblieben.

„Stimmt doch gar nicht“, sage ich, „dein alter Kumpel Iwan ist auch da.“ Der ist wie Leni aus seiner alten Kita, weshalb er die beiden nur noch selten trifft, aber irgendwie muss man es ihm ja schmackhaft machen. Außerdem sind die alten Freunde immer noch die besten. Und schließlich ist Leni in Fup verliebt. Hat sie ihrer Mutter erzählt, die es mir erzählt. Und dass Fup gut Fußball spielen kann und später mal bei Borussia Dortmund spielen wird. Und wenn sie ihn dann heiratet, kann sie mit ins Stadion gehen. Die Einladung von einem Mädchen, das jetzt schon davon träumt, später einmal Spielerfrau zu werden, kann man natürlich nicht ignorieren.

Als ich Fup später von der Geburtstagsparty wieder abhole, verschwindet Leni mit einer Freundin in ihrem Zimmer. Dabei zerren sie die etwas unwilligen Fup und Iwan hinter sich her. Fup erzählt mir später, dass die Mädchen sich ausgezogen hätten. „Bis auf die Unterhose“, sagt er. „Die haben uns gezwungen“, sagt Iwan. Sie klingen so, als würde es sich um ein abscheuliches Vergehen handeln. Morgens beim Frühstück unterhalten wir uns über Vererbungslehre, weil wir beide finden, dass Iwan wie seine Mutter aussieht. Ich sage: „Iwan besteht genau zur Hälfte aus seinem Vater und zur Hälfte aus seiner Mutter.“ – „Ne“, sagt Fup kopfschüttelnd, „nur wegen des bisschen Sperma, das Iwans Papa gegeben hat?“ Stimmt, denke ich, eigentlich kaum zu glauben.

Klaus Bittermann