Türkei-Debatte entzweit Europa

Diplomatie Österreich will nicht nur die Beitrittsverhandlungen stoppen, sondern auch das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. Aus dem Europaparlament kommt Kritik an den Vorstößen

Mag markige Worte: Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) in Brüssel Foto: Olivier Hoslet/dpa

Aus Wien Ralf Leonhard

Der Vorschlag von Österreichs Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) ist in Brüssel auf wenig Verständnis gestoßen: Kern hatte vor einigen Tagen dafür plädiert, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen. Für seinen wenig diplomatischen Vorstoß wurde er schnell gemaßregelt, etwa von Elmar Brok, dem konservativen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament. „Ein sofortiges Aussetzen der Verhandlungen wäre heute diplomatischer Unsinn“, sagte Brok der Welt am Sonntag. Allerdings hält auch Brok nichts davon, die Türkei als Vollmitglied aufzunehmen. Im Klartext: Darüber ist man sich in der EU zwar einig – man darf es aber nicht so deutlich aussprechen. Brok im Ö1-Radio: „Das weiß die Türkei doch selbst, dass wir nicht verhandeln.“

Kanzler Kern hat aber nicht reumütig zurückgesteckt. Im Gegenteil: er sieht sich durch den Koalitionspartner ÖVP bestärkt. Außenminister Sebastian Kurz, Zukunftshoffnung der österreichischen Konservativen: „Ich habe Sitz und Stimme im Außenministerrat. Dort geht es darum, ob neue Verhandlungskapitel mit der Türkei eröffnet werden.“ Kurz weiter: „Und da bin ich dagegen.“ Da Einstimmigkeit gefordert ist, kommt die Ankündigung einer Vetodrohung gleich. Selbst der rechte Oppositionsführer Heinz Christian Strache (FPÖ), sah sich gezwungen, dem Kanzler den Rücken zu stärken.

Kurz geht außerdem davon aus, dass das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei ohnedies demnächst platzen werde. Österreich sei daher gut beraten, selbst für die Abriegelung der Grenzen zu sorgen. Verteidigungsminister Hans Peter Dos­kozil (SPÖ) und Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) sorgen mit ihrem Grenz-Management und enger Kooperation mit Ungarn für die Umsetzung dieses Auftrags. Seit Monaten schon bleiben Asylsuchende in Griechenland hängen. Die Anzahl der täglich in Österreich eintreffenden Flüchtlinge ist überschaubar. Das auflagenstarke Boulevardblatt Kronen Zeitung, das das Ohr immer bei den Stammtischen hat, diagnostiziert anlässlich der Türkei-Debatte einen Rechtsruck der Regierung, der „den Freiheitlichen derzeit politisch kaum noch Luft“ lasse.

Beim Treffen der deutschsprachigen Außenminister in Liechtenstein blieb Sebastian Kurz mit seiner Linie aber isoliert. Insbesondere Frank-Walter Steinmeier las ihm die Leviten: „Ich befürchte, das Problem, vor dem wir hier stehen, ist etwas größer als die Frage, wann, wie und in welcher Geschwindigkeit Beitrittsverhandlungen geführt werden“, sagte Steinmeier. Dort traf er sich mit seinen Kollegen aus der Schweiz, Liechtenstein, Österreich und Luxemburg. Sein luxemburgischer Kollege Jean Asselborn lehnte einen Verhandlungsstopp mit dem Hinweis ab, dass dieser in der EU auch nicht durchsetzbar sei.

„Frau Merkel tut nichts, um Erdoğan auszubremsen“

Bernd Riexinger, Linkspartei

Applaus für den konservativen Österreicher kommt ausgerechnet von der deutschen Linkspartei und wurde von deren Vorsitzendem Bernd Riexinger formuliert: „Eine Regierung, die Journalisten verfolgt, die Justiz gleichschaltet, Oppositionelle in die Gefängnisse wirft und Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt, kann man nicht in die EU aufnehmen“, so Riexinger in der deutschen Presse vom Sonntag. Das Flüchtlingsabkommen mit Ankara mache die Bundesregierung erpressbar. Riexinger: „Frau Merkel tut nichts, um Erdoğan auszubremsen. Sie lässt sich von ihm vorführen.“ Deswegen müsse auch das Flüchtlingsabkommen aufgekündigt werden.

Ganz anders argumentiert die grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms, die die Gespräche als Möglichkeit sieht, zum Schutz vieler Türken auf Rechtsstaatlichkeit zu drängen: „Europa darf nicht die aufgeklärten, demokratieorientierten Türken, die sich auf die EU verlassen haben, im Stich lassen. Wir sollten auf Forderungen im Affekt verzichten.“

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