Stimmenauszählung in Bremerhaven: Auf der Suche nach dem Wählerwillen

Nach der Bremer Landtagswahl musste neu ausgezählt werden. Der AfD fehlen nur wenige Stimmen – aber jetzt sind einige Stimmzettel verschollen.

Die Auszählung einer Wahl wird umso komplizierter, je mehr Stimmen die WählerInnen haben Foto: Maren Reese-Winne/dpa

BREMEN taz | Je gründlicher die Landtagswahl in Bremerhaven ausgezählt wird, desto unklarer ist ihr Ergebnis. Wie sie nun, ungefähr jedenfalls, ausgegangen sein wird, das verkündet der Bremer Staatsgerichtshof erst im September – bald eineinhalb Jahre nach der Wahl. So ganz exakt wird es sich nicht mehr klären lassen.

Zu beantworten ist vor allem die Frage, ob die AfD in Bremerhaven bei der Wahl am 15. Mai 2015 nun doch knapp unter oder gerade eben über der Fünfprozenthürde gelandet ist. Bei der ersten Stimmauszählung waren es 4,99 Prozent der Stimmen, also fiel der letzte Sitz im Landtag an die SPD, an eine Hinterbänklerin namens Petra Jäschke.

Dagegen klagte AfD-Spitzenkandidat Thomas Jürgewitz, vor dem Wahlprüfungsgericht – und bekam im vergangenen Dezember Recht. Aber noch keinen Sitz in der Bremischen Bürgerschaft, weil nun der Landeswahlleiter vor den Staatsgerichtshof zog, um auf dem ursprünglichen Ergebnis zu beharren.

Die RichterInnen ließen daraufhin die gesamte Wahl in Bremerhaven noch mal auszählen, mehrere Tage war die örtliche Stadtverwaltung beschäftigt, unter richterlicher Aufsicht. Es geht dabei um 33.958 Stimmzettel aus 94 Wahlbezirken. Die WählerInnen durften bis zu fünf Stimmen abgeben.

Bei der Bürgerschaftswahl am 15. Mai 2015 kam die SPD auf 32,8 Prozent, die CDU auf 22,4, die Grünen auf 15,1 Prozent der Stimmen. Auf Die Linke entfielen 9,5, auf die FDP 6,6 und auf die AfD landesweit 5,5 Prozent.

Rot-Grün kommt auf 44 der 83 Mandate. Nach der Wahl wechselte Turhal Özdal aus Bremerhaven von den Grünen zur CDU, während Bernd Ravens von der CDU zur SPD ging.

Die AfD hatte vier Abgeordnete, konnte aber keine Fraktion bilden, weil sie in Bremerhaven die Fünfprozenthürde verfehlte. Drei ihrer Parlamentarier schlossen sich der Abspaltung Alfa an.

Am Ende musste das Wahlergebnis in 572 Fällen revidiert werden, maximal 29 Fehler pro Wahlbezirk wurden registriert. Allerdings fehlen mittlerweile 13 Stimmzettel. Wo sie abgeblieben sind, ist unklar, wie sie zu werten sind, auch. Der Staatsgerichtshof lässt aber wohl am Ende das – nicht mehr nachprüfbare – Ergebnis der ersten Auszählung gelten. Möglich wäre aber auch, diese Stimmen nun als ungültig zu werten.

Die Schuldfrage bleibt ungeklärt

Heftige Gegenwehr erntete Ilsemarie Meyer, die Präsidentin des Staatsgerichtshofs, für ihren Hinweis, die Stimmzettel könnten ja bei der Akteneinsichtnahme von AfD und SPD abhandengekommen sein. Überhaupt sei es „problematisch“, wenn Parteien Teile so einer Wahl für sich neu auszählten, sagt Meyer – und dass das im Gesetz so nicht vorgesehen sei. Allerdings hat das Verwaltungsgericht Bremen dies mit einem Urteil erst möglich gemacht.

Doch auch Justizstaatsrat Matthias Stauch – früher selbst Richter am Staatsgerichtshof – findet, dass die Nachprüfung durch Betroffene „Grenzen“ habe. Jedoch versichern sowohl AfD als auch SPD vor Gericht, dass das Wahlamt ihre Einsichtnahme in die Stimmzettel streng überwacht habe. Am Ende blieb die Schuldfrage also ungeklärt.

Die AfD vermutet freilich „Schlamperei“ und findet, der Verdacht der Manipulation liege nahe. Sicher ist nur, die Stimmzettel waren schon mal da. „Wir sind am Ende unserer Aufklärungsmöglichkeiten“, sagt Meyer.

Mandatsrelevant oder nicht?

Unklar ist auch, was aus den Stimmen dreier EU-BürgerInnen wird, die mit über den Landtag entschieden haben. Obwohl sie das gar nicht hätten tun dürfen. Allein: Ihre maximal 15 Kreuzchen lassen sich jetzt nicht mehr identifizieren.

Wäre das Wahlergebnis nicht so knapp, könnte man derlei Fehler einfach unter den Tisch kehren. Doch nun entstand über die an sich mathematisch einfache Frage, ob das „mandatsrelevant“ ist, also praktische Folgen für Jürgewitz und Jäschke haben kann, ein Streit vor dem Staatsgerichtshof. Ja, sagt der AfD-Politiker. Nein, sagt der Landeswahlleiter.

Indes: Im Zuge des Rechtsstreits hat sich Jürgewitz’ Abstand von einem Sitz im Landtag auf nur 15 Kreuzchen verringert. So nah war er einem Mandat noch nie, dabei hat er schon für die FDP und die Freien Wähler kandidiert, war Mitglied in der CDU und in der Schill-Partei.

AfD fordert Neuwahl in Bremerhaven

Nun kommt es für ihn auf jeden Fehler an. So durften mancherorts Menschen, die sich nicht ausweisen konnten, nicht abstimmen. Möglicherweise zu Unrecht. Möglicherweise kamen diejenigen später wieder, mit Ausweis, und haben doch noch abgestimmt. Wer weiß das schon? Um wie viele Menschen es hier geht? Eine Handvoll, oder drei – die alle je fünf Stimmen hatten.

Lang ist die Liste aller möglichen Fehler, die Jürgewitz vor Gericht moniert, auch um den Transport der Urnen geht es da, um die mittlerweile ramponierten Kartons, in denen die Stimmzettel aufbewahrt werden. Und überall wittert die AfD „Manipulationsmöglichkeiten“.

Der Landeswahlleiter und die SPD sagen, dass die Fehler „nicht mandatsrelevant“ sind. Also alles bleiben kann, wie es ist. Auch der Staatsgerichtshof neigt wohl zu dieser Auffassung. Die AfD hingegen fordert eine Neuwahl in ganz Bremerhaven, mindestens aber in einzelnen Wahlbezirken. Was freilich zu ganz neuen Verzerrungen führen würde.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.