Journalisten und der Militärputsch: Für die Türkei schreiben und streiten

Die Putschisten hatten sich breitere Unterstützung erhofft. Doch selbst kritische Journalisten und Oppositionelle stellten sich dagegen.

Erdogan spricht über ein Smartphone und CNN Türk zum Volk

Erdoğans Ansprache an das Volk: Der Fernsehsender CNN Türk wurde von den Putschisten erst später besetzt Foto: dpa/CNN Türk

BERLIN taz | Es ist das Signal zum Widerstand. Etwa drei Stunden nach Beginn des Putschversuchs hält die Moderatorin des Nachrichtensenders CNN Türk ein Smartphone in die Kamera. Über Apples Videotelefonie-Dienst Facetime ist sie live verbunden mit Recep Tayyip Erdoğan.

Das Bild ist etwas wackelig, der türkische Präsident schlecht ausgeleuchtet, aber seine Botschaft ist klar: „Ich bin der Oberbefehlshaber.“ Dann wendet sich Erdoğan direkt an die türkische Bevölkerung: „Ich rufe unser Volk auf, sich auf den Plätzen und am Flughafen zu versammeln.“

Dass Erdoğan sich ausgerechnet bei einem Sender der Doğan Mediengruppe melden würde, damit hatten die Putschisten offenkundig nicht gerechnet. Schließlich gilt sein Verhältnis zu Gründer Aydın Doğan, ein Repräsentant der alten konservativ-säkularen kemalistischen Eliten, als sehr angespannt.

Die Militärs hatten sich zunächst darauf beschränkt, die staatliche Rundfunkanstalt TRT zu besetzen. Als Soldaten mehrere Stunden später auch das Gebäude von CNN Türk und der ebenfalls zur Doğan-Holding gehörenden Tageszeitung Hürriyet stürmten, war die Erdoğan-Botschaft längst gesendet und der Staatsstreich bereits gescheitert.

Keine Stunde später hatte die Polizei das Medienhaus unter ihre Kontrolle gebracht und die aufständischen Soldaten verhaftet. Die JournalistInnen und MitarbeiterInnen konnten an ihre Arbeitsplätze zurückkehren.

Breit gefächerte Medienlandschaft

Trotz der starken Repressalien, denen JournalistInnen in der Türkei ausgesetzt sind, ist die Medienlandschaft am Bosporus immer noch breit gefächert. Es gibt etliche Fernsehsender und Zeitungen, die nicht auf der Linie des autokratischen Erdoğan und seiner islamistischen AKP-Regierung sind. Doch selbst diese stellten sich – ebenso wie alle im Parlament vertretenen Oppositionsparteien – entschieden gegen den Coup.

„Wir haben vom Putschversuch auch erst durch Bilder von Soldaten erfahren, die versuchten, die Bosporus-Brücke unter Kontrolle zu bringen“, berichtet Fatih Polat, Chefredakteur der linken Tageszeitung Evrensel. Ab Mitternacht seien zahlreiche Kanäle, die Programme gegen Putschisten sendeten, für einige Stunden gesperrt worden, darunter auch zahlreiche regierungsferne Sender. Die Sendesperre habe unter anderem Hayatin Sesi TV, Halk TV und Ulusal Kanal betroffen. Sie hätten jedoch weiterhin über das Internet gesendet.

Für ihn sei es selbstverständlich gewesen, gegen den Putsch zu sein. Schließlich würden er und seine KollegInnen für eine demokratische Türkei schreiben und streiten – und nicht für die Ersetzung der Erdoğan-Autokratie durch eine Militärdiktatur.

Der vereitelte Staatsstreich sei „ein bösartiger Angriff auf Staat, Nation und Demokratie“ gewesen, verkündete der regierungskritische Verleger Aydın Doğan auf den Titelseiten seiner Zeitungen. Es sei nun „unsere Aufgabe“, sich für die Demokratie zu engagieren – über alle politischen Differenzen hinweg.

Noch mehr Repression befürchtet

„Erdoğan und die regierende AKP könnten diesen massiven Widerstand oppositioneller politischer Parteien, Medien und der Zivilgesellschaft gegen den Putsch nutzen, um die Nation wieder zu versöhnen“, sagt der Journalist Erol Önderoğlu der taz. Allerdings glaubt er nicht daran. Der Türkei-Korrespondent von „Reporter ohne Grenzen“ war am 20. Juni für zehn Tage inhaftiert worden, weil er – wie zahlreiche andere JournalistInnen, Intellektuelle und KünsterInnen – symbolisch für einen Tag die Chefredaktion der bedrängten pro-kurdischen Zeitung Özgur Gündem übernommen hatte. Jetzt befürchtet Önderoğlu, dass es „noch mehr Repression im Namen der Putschabwehr und der nationalen Sicherheit“ geben wird.

Wie angespannt die Situation ist, zeigte sich bereits in der Putschnacht, in der JournalistInnen unversehens zwischen die Fronten gerieten. So wurde der Fotograf Mustafa Cambaz von der regierungsnahen Zeitung Yeni Şafak von Soldaten erschossen, die auf eine Menschenmenge in Istanbul feuerten. In Ankara wurden der Hürriyet-Korrespondent Selçuk Şamiloğlu und CNN Türk-Reporter Kenan Sener von Regierungsanhängern angegriffen, die sie wegen der kemalistischen Ausrichtung ihrer Medien als vermeintliche Putsch-Sympathisanten verdächtigten.

Nur knapp dem Lynchmord entkommen

Auf der Bosporus-Brücke soll ein Journalist nur knapp einem Lynchmord entgangen sein. Die Demonstranten hätten unter Stress und starken Emotionen gehandelt, entschuldigte sich Ministerpräsident Binali Yıldırım am Samstag bei den Medien.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 151 von 180 Staaten. Nach Angaben von Turgay Olcayto vom türkischen JournalistInnenverband TGC befinden sich derzeit 35 JournalistInnen in Haft. Seit Erdoğan im August 2014 sein Amt antrat, hat er rund 2.000 Verfahren wegen „Beleidigung des Präsidenten“ einleiten lassen.

„Die führenden türkischen Nachrichtenmedien haben während des versuchten Putschs ebenso wie wie viele mutige Bürger gezeigt, dass sie auf der Seite der Demokratie stehen“, konstatiert Christian Mihr, Geschäftsführer der deutschen Sektion von „Reporter ohne Grenzen“. „Die türkische Regierung sollte dies sorgsam registrieren und aufhören, kritische Journalisten als Verräter und Terroristen zu behandeln.“ Die tiefe Spaltung der türkischen Gesellschaft werde sich nur überwinden lassen, wenn dabei Grundrechte wie die Pressefreiheit respektiert werden.

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