Dominic Johnson über die neue britische Regierung
: Mays formidable Mannschaft

Ein Klischee gehört begraben: Johnson ist kein engstirniger Nationalist, sondern Kosmopolit

Es sollte eigentlich nur eine Stafettenübergabe innerhalb einer Regierungspartei sein, aber Theresa Mays Amtsantritt als neue britische Premierministerin und Nachfolgerin David Camerons mutet an wie ein Machtwechsel. Das zeigt der Ton ihrer ersten Rede und auch das Profil ihrer ersten Ministerialbesetzungen. Soziale Gerechtigkeit und das Ende von Diskriminierung hat sich May auf die Fahnen geschrieben: gleiche Lebenschancen für die Armen, Gleichbehandlung für Schwarze im Rechtssystem, gleiche Aufstiegsmöglichkeiten für die weiße Unterschicht, gleicher Lohn für Frauen, Verbesserungen für psychisch Kranke, Sicherheiten für die Jugend. „Wenn man aus einer einfachen Arbeiterfamilie stammt, ist das Leben viel schwerer, als die meisten in Westminster ahnen“, sagt die neue Regierungschefin und verspricht, in erster Linie für diese Zielgruppe zu regieren. Wer braucht da noch einen Jeremy Corbyn als Held des Klassenkampfs oder einen Nigel Farage als Stimme der Unzufriedenen?

Theresa May kann glaubwürdig so reden, das tat sie schon zu Beginn ihrer politischen Karriere. Sie knüpft nahtlos an das utopische Denken Tony Blairs an und auch an den Beginn von David Camerons Modernisierungsagenda für die Konservativen als Zentrumspartei der sozialen Inklusion. Die hatte Cameron als Premierminister irgendwann ad acta gelegt, um sich um Europa zu kümmern, mit bekanntem Ergebnis. Nun ist der Streit um Europa entschieden, das Wesentliche kommt wieder zum Vorschein.

Allen linken Klischees zum Trotz sind die britischen Konservativen eben keine böse, hartherzige, arrogante und elitäre Partei des Klassenkampfs von oben. Sie sind in der Tiefe ihres Wesens hoffnungslose Romantiker, die davon ausgehen, das Land voranbringen zu können. Das galt sogar für Margaret Thatcher, deren Antrittsrede 1979 der von Theresa May 2016 sehr ähnlich war – was allerdings auch zeigt, dass schöne Worte nicht automatisch zu schöner Politik führen.

Wie Theresa Mays Politik aussehen könnte, zeigen ihre ersten Personalentscheidungen. Der bisherige Finanzminister George Osborne, Symbol der Austeritätspolitik vergangener Jahre, verschwindet in der Versenkung. Sein Nachfolger Philip Hammond dürfte ebenso unscheinbar bleiben wie in seiner bisherigen Funktion als Außenminister. Neuer Außenminister wird Boris Johnson, der schillernde Wortführer des Brexit. Auch hier gilt es, ein linkes Klischee zu begraben: Johnson ist kein engstirniger Nationalist, sondern ein Kosmopolit, für den der Brexit eine Befreiung von den Fesseln einer bornierten EU und den Sprung in die weite Welt darstellt. Als Außenminister einer UN-Vetomacht ist Johnson mit seinem internationalistischen Instinkt und seinem Sinn fürs Groteske auf jeden Fall eine Bereicherung auf dem diplomatischen Parkett.

Weniger spektakulär, aber von mehr Gewicht ist die Schaffung zwei neuer Ministerien, besetzt von zwei Brexit-Schwergewichten: David Davis, ein Traditionalist mit hohem innerparteilichen Standing, als Brexit-Minister mit dem schönen Titel „Secretary of State for Exiting the European Union“, sowie Liam Fox, Exponent des rechten Parteiflügels, als Chef eines neugeschaffenen Außenhandelsministeriums. Davis wird die Brexit-Verhandlungen mit der EU einfädeln und Fox die Handelsabkommen, die Großbritannien ohne EU dringend mit dem Rest der Welt braucht, um seine Führungsposition im Welthandel und im globalen Finanzsystem nicht zu verlieren. Sie werden die Arbeit machen, Johnson liefert die Kulisse.

So wird Mays Kabinett tatsächlich eine Art Brexit-Regierung – und zwar eine, die nicht mit sich spaßen lassen wird. Was auch für May selbst als Regierungschefin gilt. Es ist eine formidable Mannschaft, die die neue Frau in 10 Downing Street da um sich schart. Die Schwachstelle ist indes klar: Wenn in den nächsten Jahren alle Energien in den Brexit fließen, bleiben sozia­le Inklusion und Kampf gegen Ungerechtigkeit dann wohl doch wieder ein reines Versprechen für den nächsten Wahlkampf 2020. Das ist ein Spiel mit der Politikverdrossenheit, und es funktioniert nur, solange es keine handlungsfähige Opposition gibt.

Erst mal aber verdient dieser politische Neuanfang nur drei Wochen nach dem Brexit-Schock – und panischen Warnungen, Großbritannien werde ins Chaos stürzen – Anerkennung: Theresa May hat sich selbst hohe Ansprüche gesetzt. Es ist den Briten zu wünschen, dass sie die Aufgabe meistert.

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