Unverbrüchliche Freundschaft

Beziehungen Russland und die Türkei nähern sich wieder einander an. Ein Grund: Energieprojekte

Russische Touristen in Antalya Foto: Nick Hannes/laif

MOSKAU taz | Mit Musik, Champagner und Blumen empfing Antalya am Wochenende die ersten russischen Touristen dieses Sommers. Gleichzeitig war es auch der erste Flug der Rossiya Airlines, der Antalya von Moskau aus diese Saison ansteuerte. Sonnenhungrige russische Touristen kehrten zurück an ihren beliebtesten Badeort am Mittelmeer. 189 an der Zahl.

Voller Vorfreude reagierten auch türkische Unternehmer, die das propagandistische russische TV Wochenmagazin Nowosti nedeli befragte. Mit der Rückkehr der Nachbarn hätten sie wieder eine Chance, der wirtschaftlichen Krise daheim zu entkommen, so der Tenor. Mit den Touristen kehrt nunmehr auch Russland als Retter zurück.

Moskau hatte nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets im türkischen Luftraum im November gegen Ankara Sanktionen verhängt. Dem Abschuss waren zahlreiche Warnungen vorausgegangen. Russische Flieger verletzten zuvor Dutzende Male den türkischen Luftraum. Kremlchef Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Er­do­ğan machten aus dem Vorfall eine persönliche Fehde. Russische Reisebüros durften danach weder Touren noch Charterflüge in die Türkei anbieten.

Das russische Fernsehen stilisierte Erdoğan zum Inbegriff des Satans – bis Ende Juni. Da trudelte im Kreml ein Entschuldigungsschreiben des Sultans ein. Putin reagierte umgehend. Er hätte beschlossen, die Beziehungen zur Türkei wieder zu normalisieren. „Ich würde gern mit dem Tourismus anfangen …“

Vor acht Monaten klang es noch alttestamentlich, Versöhnung schien ausgeschlossen: „Wir wissen, dass die Türkei ihre Taschen vollstopft und Terroristen erlaubt, durch den Verkauf von in Syrien gestohlenem Öl Geld zu verdienen“, sagte Putin wutschnaubend vor der Duma. Plötzlich sind die russischen Politiker wie ausgewechselt. Regierungschef Dmitri Medwedjew bietet den Türken Gespräche an, die „sie für richtig halten“. Ende Juli sollen die ersten Konsulta­tio­nen bereits stattfinden.

„Sind die Sponsoren des Terrorismus, wie es uns in den letzten Monaten in den Kopf gehämmert wurde, nun wieder unsere besten Freunde?“, fragt User Oleg in den sozialen Medien und klagt: 86 Prozent der Bevölkerung hätten das Türkeiverbot damals unwidersprochen hingenommen. Beobachter fragen: Ist die Bevölkerung tatsächlich auf Knopfdruck manipulierbar, oder drückt sich nicht das Gefühl genereller Machtlosigkeit aus?

Zurzeit stehen Türken wie der Bürgermeister von Kemer wieder höher im Kurs. Er versprach, dem getöteten russischen Piloten Oleg Peschkow ein Denkmal zu setzen. Zum Fotografieren und Gedenken, damit russische Besucher ihn in lebendiger Erinnerung behalten könnten, sagte er dem russischen Fernsehen.

Die Nachfrage nach Türkeitouren ist gestiegen. In den ersten Tagen erkundigten sich fast 40 Prozent der Kunden danach. Nur 10 Prozent buchten aber auch einen Urlaub. Denn bislang gibt es keine günstigen Charterreisen. Es steht auch noch eine Genehmigung der russischen Regierung aus, die von Ankara zusätzliche Sicherheitsgarantien verlangt. Darunter etwa die Versicherung, keine Flüge in Regionen mit erhöhter Terrorgefahr vorzunehmen.

In der nächsten Woche soll der reguläre Verkehr starten. Dennoch erwarten Veranstalter, dass 2016 nur 600.000 Russen die Türkei besuchen werden. 2015 waren es 4 Millionen.

Der Urlaub ist nur ein Nebeneffekt der Annäherung. Wirtschaftliche Beweggründe können die Versöhnung nicht ganz erklären. Beide Länder leiden an zunehmender Isolation. Moskau ist versucht, das angeschlagene Verhältnis der Türkei zum Westen für sich zu nutzen. Wichtig dürften die älteren Energieprojekte sein. Der Türkei kommt darin eine Schlüsselstellung zu. Darunter das Pipelineprojekt Turkish Stream, das die Ukrai­ne umgehen und Konkurrenten vom Kaspischen Meer ausstechen möchte. Das Vorhaben hat jedoch nur Sinn, wenn sich Europa bereit zeigt, das Gas auch abzunehmen.