Aussortiert

Einen Ausbildungsplatz zu finden, ist für viele Jugendliche schwierig. Für Blinde und Sehbehinderte ist es beinahe aussichtslos. Der 19-jährige Dominik Zilian versucht es trotzdem immer wieder

„Die jungen Blinden und Sehbehinderten sind durch die Auseinandersetzung mit ihrer Erkrankung oft viel reifer“

Von Kristina Allgöwer

Das Licht kommt direkt von oben. Grell strahlt es auf die weißen Papierbögen, die Dominik Zilian in den Händen hält. Die schwarzen Buchstaben darauf kann er kaum erkennen. Es dauert lange, bis er sich durch die Fragen des Einstellungstests gekämpft hat. Zu lange. Nun ärgert er sich, dass er nicht um die zusätzliche Bearbeitungszeit gebeten hat, die ihm eigentlich zusteht. Wenige Tage später öffnet er den Umschlag mit der Absage. Den Text liest er kaum, es ist immer der gleiche. Dominik kann ihn schon fast auswendig. Etwa 80 solcher Absagen hat er schon erhalten.

Dominik Zilian ist stark sehbehindert. Wer ein Auge schließt und mit dem anderen durch die Pappröhre einer Küchenrolle guckt, kann sich vorstellen, wie der 19-Jährige die Welt sieht: Sein Gesichtsfeld, das bei gesunden Menschen bis zu 180 Grad beträgt, ist stark eingeengt. Dominik leidet an Retinitis Pigmentosa, einer erblichen Augenerkrankung, die eine Zerstörung der Netzhaut zur Folge hat. Ihm geht es wie rund 70 Prozent aller erwerbsfähigen Blinden und Sehbehinderten in Deutschland: Er findet keinen Job.

Als Dominik zehn Jahre alt war, wollte er Düsenjetpilot werden. „Vermutlich würden die mich nicht mal in die Nähe eines Jets lassen“, sagt er heute. Erst mit 13 Jahren wurde ihm klar, dass mit seinen Augen etwas nicht stimmt. Die Erkrankung zeichnet sich dadurch aus, dass meist im Jugendalter Nachtblindheit eintritt und sich das Gesichtsfeld verengt. Kontrast- und Farbensehen verschlechtern sich, später auch die Sehschärfe. Meist führt der Gendefekt zur Erblindung. Um sich darauf vorzubereiten, lernt Dominik die Brailleschrift und den Umgang mit dem Blindenstock. Den Traum vom Jetpiloten hat er begraben: Seit anderthalb Jahren bewirbt er sich für einen Ausbildungsplatz zum Industriekaufmann – bisher erfolglos.

Für Blinde und Sehbehinderte ergeben sich bei der Suche nach Arbeit viele Schwierigkeiten: Sie benötigen einen „Vorleser“ für Stellenanzeigen und Hilfe beim Finden von Stellenangeboten abseits der gewohnten Pfade. „In Zeiten des Überangebotes an Arbeit landen immer mehr Bewerbungen Blinder auf dem Stapel ‚Aussortiert‘“, weiß Michael Herbst vom Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS). Nur ein geringer Anteil schaffe es, in der freien Wirtschaft Fuß zu fassen. Klassische Arbeitsfelder seien der öffentliche Dienst und der Non-Profit-Sektor.

Dominik Zilian will in die freie Wirtschaft. In einem der Berufsbildungswerke für Blinde und Sehbehinderte in Soest oder Chemnitz könnte er eine Ausbildung machen, in einem der „typischen Blindenberufe“: Masseur, Korbflechter oder Bürokaufmann. Dominik aber möchte nicht mehr einer unter vielen Behinderten sein: „Ich will raus aus dem Ghetto“, sagt er, „unter Leute, die sehen können.“ Auf der Höheren Handelsschule für Blinde und Sehbehinderte in Alsterdorf hat Dominik seinen Abschluss gemacht. Er hat sich angestrengt, um seinem Traum vom betrieblichen Ausbildungsplatz ein Stück näher zu kommen: Innerhalb eines halben Jahres verbesserte er seinen Notenschnitt von 3,0 auf 1,8.

Marlis Lang ärgert sich über die fehlende Bereitschaft von Arbeitgebern, Blinde und Sehbehinderte einzustellen. Sie ist Leiterin des Jugendheims der Hamburger Blindenstiftung, die auch die Wohngemeinschaft betreut, in der Dominik Zilian mit zwei weiteren Sehbehinderten lebt. „Unsere Jugendlichen sind so engagiert und motiviert“, sagt Lang. Die ständigen Absagen würden jedoch viel Energie kosten und Frustration erzeugen. Die Unternehmen sähen nur die Probleme, nicht aber die Chancen, die mit der Einstellung eines behinderten Auszubildenden verbunden seien: „Die jungen Blinden und Sehbehinderten sind durch die Auseinandersetzung mit ihrer Erkrankung oft viel reifer.“ Ihrer Erfahrung nach gehen sie häufig offener und wohlwollender auf andere Menschen zu als Nichtbehinderte. „Ich kann jedem Arbeitgeber nur gratulieren, der einen Blinden einstellt“, sagt Lang.

Die Vorbehalte gegenüber blinden und sehbehinderten Angestellten sind laut Herbst „eher diffuser Natur“. So der zusätzliche Urlaubsanspruch von fünf Werktagen und ein besonderer Kündigungsschutz, der bei einer Entlassung die Zustimmung des Integrationsamtes vorsieht. „Kein Integrationsamt wird aber einen Betrieb zugrunde gehen lassen, nur um mittelfristig eine Stelle zu sichern“, meint Herbst. Auch vor Kosten für die behindertengerechte Umgestaltung des Arbeitsplatzes müssten Arbeitgeber keine Angst haben: Diese trage das Arbeitsamt.

Dominik Zilian will es weiter versuchen. Momentan wartet er auf Antworten von zehn Unternehmen, bei denen er sich um einen Ausbildungsplatz zum Industriekaufmann beworben hat. Er hofft, dass eines von ihnen ihm eine Chance gibt.