Bauchgefühl fürs Baugewerbe

Die Schweizerin Susanna Fassbind berät Planer, Hersteller und Verkäufer in nachhaltigem Marketing. Dabei spielt der sinnliche Wohlfühl-Faktor eines Produkts für Frauen oft eine ungewöhnlich große Rolle – was viele Männer erst lernen müssen

Die Schweizerin Susanna Fassbind verbindet Ökologie und Genderfragen. Für die gemeinnützige Agentur Bremer Energie-Konsens beispielsweise wirkte sie an einer Studie mit, die das Passivhaus darauf abklopfte, ob der Nutzen der neue Bautechnik auch bei beiden Geschlechtern ankommt. Auch an der Zürcher Eidgenössischen Technischen Hochschule lehrt die studierte Historikerin fachübergreifend zum Thema Marketing und Nachhaltigkeit.

taz: Frau Fassbind, was muss man wissen, um Ihr ungewöhnliches Arbeitsfeld zu verstehen?

Susanna Fassbind: Man muss unterscheiden zwischen einerseits dem Bauchhirn, das in der Baubranche bislang so gut wie nicht existiert, obwohl es von der Evolution her das erste Hirn ist, was der Mensch als Zentrum seines Denkens hatte – und andererseits dem Kopfhirn. Dabei schafft das Bauchhirn erst den Zugang zum Kopfhirn, also zum rationalen Denken. Frauen haben mehr Vertrauen zum Bauchhirn, also zur Wahrnehmung der Gefühle, während Männer meinen, eher rational zu denken. Das ist die erste „Klippe“ am Bau – und die zweite steckt im Verhältnis zwischen Mann und Frau. In der Baubranche haben Männer lange den Ton angegeben. Das wirkt: Schweizer Programme für Frauen zeigen, dass trotz aller Förderung Frauen in der Baubranche nicht ankommen.

Was müssen Männer lernen?

Kommunikation. Das ist das magische Wort für jeden Mann. Er muss lernen, über Bauchgefühle zu sprechen und zuzulassen, damit nicht nur eitel Freude zu bereiten. Er muss auch Willens sein, sich selbst in Frage zu stellen und seinen persönlichen Status niedriger zu bewerten: Beruf, Geld, Auto, alle diese Attribute, die Männer so „sexy“ machen.

Wie wirkt sich das positiv aus?

Heute sprechen Frauen bei Kaufentscheidungen ein wesentliches Wort mit. Und für sie ist beispielsweise beim Hauskauf das Lebensgefühl darin ein wesentlicher Faktor. Status oder Energiebedarf sind meist nachrangig.

Was folgt daraus praktisch?

Man muss der Frau am besten mit sinnlichen Erfahrungen glaubhaft vermitteln, dass die Lebensqualität und das Klima im Haus wirklich hoch sind. Man weiß aus der Gehirnforschung, dass Frauen mehr gleichzeitig und vernetzt denken können. Für sie müssen also Netze von Dingen stimmen, die sie auf mehreren Ebenen wahr nehmen. Männer empfinden da weniger komplex. Sie wollen beispielsweise ihrer Familie ein tolles Haus kaufen, dem man den Status auch ansieht.

Was heißt das für Hersteller?

Architektur und Werbung bis zum Verkauf sollten entsprechend anders gestaltet werden: Mit Probeschlafen oder Reibekuchen machen. Dabei merkt dann jeder, wie gut das Haus belüftet ist. In der Schweiz bereiten wir dazu analog Fondue zu. So wird das Wohlfühl-Wissen aktiv verankert. Übrigens essen wir das Gekochte dann auch – das verstärkt die guten Gefühle.

Sie trainieren auch Kunden. Wie reagieren die?

Ja, ich arbeite oft mit Multiplikatoren, also beispielsweise Energieagenturen. Die Mitarbeiter dort lernen vor allem umzudenken – und die Kunden nicht mit Daten voll zu stopfen. Das fällt Männern aber meist schwer.

Schluss mit PS und sportlichem Aussehen?

Ja. Dabei hat die Autobranche sehr erfolgreich einen eigenen Wirtschaftszweig aus dem Thema „Die Frau und das Auto“ entwickelt. Das ist im Baubereich erst die Zukunft, die Frage zuzulassen: Was für ein Gefühl möchten Sie in Ihrem Haus haben? Dass man mit Fragen an menschliche Bedürfnisse herangeht wie der beispielsweise: Was ist Ihnen das Wichtigste für Ihr Haus?, statt mit Behauptungen, ist ja auch eine weibliche Leistung.

Was müssen Verkäufer bedenken?

Dass sie Erlebnisse schaffen. Das kann so weit gehen, dass man Häuser in der Nachbarschaft von Beginn an einbindet. Da sollte man unter Umständen mit Personen und möglichen Nachbarn zusammenarbeiten, die schon ein wenig auf dem umweltbewussten Weg sind. Aber die absolute Bedingung ist: Man sollte nicht über Papier arbeiten, sondern im direkten menschlichen Kontakt.

Gibt es Studien über den Erfolg einer solchen Strategie?

Bis jetzt leider nicht. Wir kennen unsere Erfolge aus der Schweiz, die natürlich auch von Mund zu Mund weiter getragen werden, aber Studien gibt es leider nicht.

Sie haben als Schweizerin in Bremen gearbeitet. Hat Deutschland in Ihrem Arbeitsfeld etwas aufzuholen?

Deutschland und die Schweiz ähneln sich eher. Österreich ist vielleicht etwas weiter, die haben eine männerpolitische Abteilung beim österreichischen Staat, und da gescheh’n viele Sachen, die in Deutschland und der Schweiz nicht möglich sind. Ich habe gerade Österreichs erste DVD zum Thema „Was Männer bewegt“, da geht es um „Männer und Wohlfühlen“ auf dem Pult. In der Schweiz allerdings lernt auch gerade die Holzwirtschaft dazu. Bei mir liegt eine neue Broschüre, in der steht, man wolle künftig Kopf und Bauch ansprechen. Das interessiert mich natürlich sehr – aber das sinnliche Erlebnis reduziert sich dabei auch auf Papier- und Internetinformationen. Immerhin, man hat schon etwas verstanden – nur die Umsetzung hapert noch.

Haben Sie zum Schluss noch einen Rat für die Zukunft?

Politik reflektiert den Umbruch zu wenig. Den Bremern habe ich vorgeschlagen, die Zielgruppe der kulturell Kreativen stärker zu beachten. Menschen also, die eher Bücher und Zeitung lesen, weniger fern sehen und einen anderen, aber hohen Lebensstil pflegen. Diese Elite ist das Potenzial für neue nachhaltige Produkte.

Fragen: Eva Rhode