DIE GESELLSCHAFTSKRITIK
: Klatschmarsch und Trauerflor

GEDENKEN Eine „Minute des Beifalls“ ist die neueste Form der Trauerarbeit vor einem Spiel. Eingeführt hat sie die Uefa, von allen verstanden wird sie noch nicht

Mit ihrer nicht allzu laut verkündeten Innovation, künftig nicht mehr mit Stille, sondern mit Applaus Tote zu würdigen, wollen die Organisatoren der EM verhindern, dass bei der bislang im Fußball üblichen Schweige­minute Störer Aufmerksamkeit erheischen.

Gedacht wurde am Samstagabend der Opfer von Dhaka: Bei einer Geiselnahme in einem Restaurant der Hauptstadt Bangladeschs waren 29 Menschen zu Tode gekommen. Weil zehn Italiener unter den Toten sind, beantragte der italienische Verband die Erlaubnis, die Squadra Azzurra im Viertelfinale mit Trauerflor auflaufen zu lassen. Keine Deutsche waren unter den Opfern – außer Italienern wurden Japaner, Inder und Sri Lanker getötet. Wegen dieser Toten beantragte der DFB für seine Auswahl keinen Trauerflor. Wann diese Form des Gedenkens gewählt wird, ist völlig ungeregelt: 2011 zum Beispiel, nach dem Erdbeben in Japan, spielte die Bundesliga mit Trauerflor.

Nun, nach dem Anschlag von Dhaka, gab die Uefa dem ita­lienischen Wunsch nach und setzte auch vor dem Viertelfinale am Samstag eine Trauerminute an. Das hatte sie schon am Donnerstag beim Viertelfinale zwischen Portugal und Polen getan, um der Toten von Istanbul und Orlando zu gedenken – auch mit einer „Minute des Beifalls“.

Sehr alt ist die Idee des Klatschens statt Schweigens nicht. Sie geht auf das Gedenken an eine Fußballkatastrophe zurück: Als im Februar 2008 der Spieler von Manchester United, die 1958 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen, gedacht werden sollte, nämlich bei einem Spiel von Manchester United gegen den Lokalrivalen Manchester City, hatten die Verantwortlichen Sorge, dass es zu Störungen kommen könnte: Von den City-Fans kam der Vorschlag, doch eine „Minute des Beifalls“ zu veranstalten, doch die ManU-Fans lehnten das als unangemessen ab.

Nun hat es die Uefa eingeführt, und zwar mit nicht ganz eindeutigem Ergebnis: Geklatscht wird noch verhalten, vermutlich weil das Gros der Stadionbesucher und auch der Spieler immer noch mit einer Schweigeminute rechnet. Am Samstagabend haben immerhin einige italienische Profis geklatscht – aber dafür auch bei Nichteingeweihten für Irritation gesorgt.

Noch hat sich die Idee des Klatschmarschs für Tote nicht durchgesetzt. Martin Krauss