Von Fischen und Fahrrädern

Geleaktes Aufklärungsmaterial Wie Gegner der „Gender-Ideologie“ in Schleswig-Holstein Stimmung machten und das Sozialministerium klammheimlich eine Aufklärungsbroschüre wieder in der Schublade verschwinden ließ

Wenn Familien, meist mit vielen Kindern, mit Plakaten durch die Straßen ziehen, macht das Eindruck

Von Esther Geißlinger

Ein Kind kann zwei Mamas, zwei Papas oder „hin und wieder“ auch Mama und Papa haben – so leichthin und locker klang der Text einer Broschüre mit dem Arbeitstitel „Echte Vielfalt macht Schule“, die im vergangenen Herbst zum Aufreger-Thema in Schleswig-Holstein wurde. Vater-Mutter-Kind, die gute alte Kernfamilie, soll das auf einmal der Sonderfall sein? Abgeordnete von CDU und FDP stießen sich daran, diese Botschaft an Schulkinder zu vermitteln. Im Januar musste Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) sich im Bildungsausschuss rechtfertigen, ob das Land zu viel gezahlt habe für die Erstellung der Broschüre – es ging um 20.000 Euro im Rahmen einer Kampagne für die „Akzeptanz vielfältiger sexueller Identitäten“.

Etwas hilflos verteidigte Alheit vor dem Ausschuss das Konzept der Kampagne, zu der auch Veranstaltungen, Flyer, Werbung gehören, und distanzierte sich schnell von der Broschüre: Nicht „einen Stapel Papier zu erzeugen“, sei Ziel gewesen, sondern Lehrkräften einen Leitfaden an die Hand zu geben.

Wie gut oder schlecht, wie brauchbar oder unbrauchbar die Texte der Broschüre tatsächlich waren, ist schwer zu sagen. Denn, so erinnert Ministeriumssprecher Christian Kohl: Die Texte waren weder fertig noch für die Veröffentlichung geeignet. „Das Material ist im Entwurf-Stadium an die Öffentlichkeit gelangt und genutzt worden, um vorab Stimmung zu machen“, so Kohl auf taz-Anfrage. Wie genau die unfertigen Texte ins Internet gelangten, ist unklar – denkbar ist sogar ein Zugriff von außen auf einen Rechner.

Zu denen, die besonders laut Stimmung machten, gehörte eine Gruppierung, die sich „Initiative Familienschutz“ nennt. Sie startete eine Online-Petition, um zu zeigen, dass der Aufruf zur Toleranz „eine massive Gefährdung der Identitätsentwicklung der Kinder“ darstelle. Sozialministerin Kristin Alheit solle „die Materialien verwerfen“. Das ist, zumindest teilweise, passiert: Der „Methodenschatz“ wurde bisher nicht veröffentlicht, sondern an das Bildungsministerium weitergeleitet, um es in „Leitlinien einzuarbeiten“.

Die „Initiative Familienschutz“ nennt auf ihrer Internet-Seite eine Postadresse in Berlin. Dahinter steckt ein nach eigener Auskunft „spendenbasierter Verein“, der sich unter dem Slogan „Ein Fisch ist kein Fahrrad, ein Mann ist keine Frau“ der Rettung der klassischen Familie verschrieben hat. Denn die sei „existenziell bedroht“, heißt es auf der Internet-Seite: „Individualismus nimmt zu. Frauen sollen dem Arbeitsmarkt dienen. Die Geburtenrate ist zu niedrig.“ Schuld an daran sind „Politik, Wirtschaft und Medien“, denn „das Naturrecht gerät durch familienfeindliche Propaganda und Gesetzgebung immer mehr in die Defensive“. Gegen die „Gender-Ideologie“und die „Sexualisierung unserer Kinder“ organisiert die Initiative bundesweit „Demos für alle“, je nachdem, in welchem Bundesland sich gerade ein Anlass bietet.

„Im Grunde ist das eine kleine Gruppe, zu den Veranstaltungen kommen immer wieder dieselben Leute“, sagt eine Beobachterin der Szene. Dennoch: Wenn Familien, meist mit vielen Kindern, mit Plakaten durch die Straßen ziehen, macht das Eindruck. Auch wird einmal erlangtes Material – wie im Fall Schleswig-Holstein die geleakten Broschüren-Texte – gern häppchenweise veröffentlicht, in der Hoffnung, immer neue Aufregung zu erzeugen.

Ein Gegner der „Gender-Ideologie“ aus Schleswig-Holstein ist Rechtsanwalt Christian Hausen aus Neumünster, der seine Texte und Bücher zum Thema auch auf der Homepage seiner Kanzlei verlinkt. In einem Text für das Kirchenblatt Evangelische Stimmen“ erklärte er „die Gender-Lehre“ für verfassungswidrig und für ein „Menschen verachtendes Kunstprodukt“, das von „einigen Feministen“ – offenbar männlichen – „konstruiert“ sei. Hauptziel seines Artikels, der von „Aids-Kranken in der Homosexuellen-Szene“ munter zu „seelischen Erkrankungen bei Mädchen im gender-fortschrittlichen Schweden“ springt, ist Claudia Janssen, Studienleiterin des Studienzentrums für Genderfragen in Kirche und Theologie der evangelischen Nordkirche in Hannover, der er „Hetze“ und „Unterstellungen“ vorwirft.

Auch dass die Kirche sich überhaupt auf die „Gender-Ideologie“ einlässt – die nach Hausens Ansicht gut und gern ein Grund „für den Drang junger Männer in den IS“ sein könnte – beklagt der Anwalt. Die „Kirchenmänner“ beugten sich dem „machtorientierten Feminismus“, die aus Laien bestehende Synode sei „unkritisch“.

Der Text in dem Kirchenblatt führte zu einem Sturm wütender LeserInnenbriefe, auf die Hausen mit einer mehrseitigen Replik antwortete, in der er sich über die „Intoleranz“ und die „Klischees und Phrasen“ beschwerte. Diesen Text druckte die Redaktion nicht ab. Ein Interview mit der taz lehnte Hausen ab: Er könne sich „ein für beide Seiten fruchtbares Gespräch nicht vorstellen“.