Das Erbe von Friedrich und Ali

RundgangDieŞehitlik-Moschee ist ein außergewöhnlicher Ort. Sie befindet sich auf türkischem Staatsgebiet und lehnt sich an den klassischen osmanischen Baustil an. Man kennt ihren Namen aus den Medien, aber wie sieht sie drinnen aus?

Traditionsbewusst am osmanischen Baustil orientiert: die Şehitlik-Moschee Foto: Martin Lengemann/laif

von Philipp Sawallisch

Wenn man aus Mitte die U8 Richtung Kreuzberg nimmt und noch nicht so lange in der Stadt lebt, geht es schnell, dass man sich wie in der Türkei fühlt, wenn man am Kottbusser Tor aus der Bahn steigt. Bei einer Führung in der Şehitlik-Moschee bleibt es nicht bei dem Gefühl, einen Kurztrip in die Türkei zu machen, man befindet sich tatsächlich auf türkischem Boden. „Wie eine Botschaft ist das Gelände der Şehitlik-Moschee Teil der Türkischen Republik“, erklärt Feride Aktaș, die neben ihrer Arbeit als Religionswissenschaftlerin interessierte Besucher durch die Moschee am Columbiadamm führt. „Also willkommen in der Türkei.“

Um diesen besonderen Status der Şehitlik-Moschee zu verstehen, muss man zurückblicken in die Zeit Friedrichs des Großen. In seinem Preußen durfte bekanntlich „jeder nach seiner Façon“ leben, was es Nichtchristen erlaubte, ihre Religion frei von staatlichen Hindernissen auszuüben. Als 1798 Ali Aziz Efendi, der damalige Botschafter des Osmanischen Reiches, starb, schenkte Preußen den Osmanen das Gelände der heutigen Moschee, damit der Verstorbene gemäß muslimischem Ritus in islamischer Erde begraben werden konnte. Ein acht Meter hoher Obelisk erinnert in der Mitte des Geländes an den Efendi und somit an diese Epoche der Toleranz.

Vom Obelisk aus zeigt Aktașauf die Moschee mit ihrer mächtigen Kuppel, auf der der Halbmond des Islam in der Sonne glitzert, umrahmt von zwei knapp 40 Meter hohen Minaretten. Die Moschee wurde zwar erst 2005 eröffnet, wirkt aber beim flüchtigen Betrachten jahrhundertealt. „Das ist kein Wunder“, erklärt Aktas. „Der Architekt hat sich an dem klassischen osmanischen Baustil aus dem 16. und 17. Jahrhundert orientiert.“ Dieser Zuckerbäckerstil mit seinen verschnörkelten Kapitellen, Rundbögen und Wandmalereien übt den alten, orientalischen Zauber aus.

Die türkische Flagge, die auf dem Dach neben dem Halbmond flattert, holt den Besucher in die Gegenwart zurück. Sie signalisiert, dass die Şehitlik-Moschee wie rund 900 andere Moscheen in Deutschland unter dem Einfluss der Türkei steht. Denn der Dachverband der türkisch-islamischen Moscheen, Ditib, folgt den Weisungen des türkischen Ministerpräsidenten und ist somit „nichts anderes als der verlängerte Arm des türkischen Staates“, wie es Grünen-Vorsitzender Cem Özdemir immer wieder kritisch formuliert. Dass dem so ist, wurde vor Kurzem einmal mehr deutlich, als die Bundestagsabgeordneten Nor­bert Lam­mert, Özcan Mutlu und Azize Tank erst zum Fastenbrechen in der Moschee eingeladen, dann aber wieder ausgeladen worden waren: Lam­mert und Tank hatten für die Ar­me­ni­en-Re­so­lu­ti­on des Bun­des­tags gestimmt, Mutlu sich ent­hal­ten.

Ausgebildet in der Türkei

Die rund tausend Imame, die in den Ditib-Moscheen praktizieren, sind in der Türkei ausgebildet worden und in der Regel ohne Bezug zu Deutschland. Das ist vor allem in der alltäglichen Gemeindearbeit, in der der Imam auch als Seelsorger fungiert, problematisch. Man kann sich leicht vorstellen, wie schwierig es für eine in Deutschland aufgewachsene Vierzehnjährige sein kann, dem Imam ihre Probleme verständlich zu machen.

Aktașbetont mehrmals, dass man sich nicht scheuen solle, kritische Fragen zu stellen und im Anschluss der Führung das Gespräch noch zu vertiefen. Sie selbst beschränkt sich darauf, während der Besichtigung den Islam von seiner schönen Seite zu zeigen. Sie führt uns ins Innere der Moschee. Die Säulen, Wände und Kuppeln sind weiß und mit hellblauen Mustern und goldenen Kalligrafien verziert.

Zwischen zwei Fenstern gibt es in der Wand eine Einbuchtung, vor der die Gruppe haltmacht. „Das ist die Gebetsnische. Vor ihr steht der Imam und spricht direkt hinein“, erklärt Aktaș. „Die Nische verstärkt seine Stimme wie ein Mikrofon. Außerdem dient sie dem Betenden zur Orientierung, denn sie zeigt Richtung Mekka. Eine Gebetsnische werden Sie in jeder Moschee auf der Welt finden. Auch in der kleinsten Hinterhofmoschee.“

Die Şehitlik-Moschee wurde zwischen 1999 und 2005 auf dem historischen Türkischen Friedhof am Columbiadamm auf dem Gelände eines Vorgängerbaus gleicher Nutzung errichtet.

Zuletzt in den Medien war die Moschee mit der Absage eines Fastenbrechens Anfang Juni, zu dem neben Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die beiden Bundestagsabgeordneten Özcan Mutlu (Grüne) und Azize Tank (Linke) geladen waren. Die Absage begründete die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), zu der auch die Şehitlik-Moschee gehört, mit den „Diskussionen der letzten Tage und Wochen“, sie erfolgte vor dem Hintergrund der Armenien-Resolution des Bundestags, mit der die Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord eingestuft wurde.

Am Samstag und Sonntag findet in der Şe­hit­lik-Mo­schee ein Sommerfest statt. Zu den Moscheeführungen anmelden kann man sich auf der Home­page: www.sehitlik-camii.de

Der Begriff hängt kurz in der Luft, und es ist unklar, ob Aktașuns nur kurz Zeit geben wollte, uns umzuschauen, oder ob sie bereut, den Begriff verwendet zu haben. Denn ob als Ergebnis einer Internetsuche oder in den Ausführungen islamkritischer Politiker – wo das Klischee der Hinterhofmoschee erscheint, sind Hassprediger, Verfassungsschutz und Parallelgesellschaft nicht weit.

Dabei ist die Hinterhofmoschee in der islamischen Kultur nicht die Keimzelle des Kalifats, sondern Ausdruck der Bescheidenheit. Der Islam kennt keine heiligen Bauten wie das Christentum. Erst das Gebet heiligt einen Ort. Daher braucht ein muslimisches Gotteshaus keinen Prunk. Viele Muslime bevorzugen sogar die Intimität, wie sie ein kleiner und karger Raum bietet, da sie sich dort Gott näher fühlen.

Doch gerade diese Abgeschiedenheit der Hinterhofmoscheen ist es, die vielen Deutschen Angst macht. Das Gefühl, dass hinter verschlossenen Türen und verhangenen Fenstern Menschen aufgehetzt werden zu finsteren Taten. Vierzig Prozent der Deutschen fühlen sich fremd im eigenen Land, knapp sechzig empfinden den Islam als bedrohlich. Zahlen, die jüngst die Bertelsmann Stiftung herausgefunden hat.

Am stärksten ist die Angst bei denen, die keinen Kontakt zu Moslems haben und angeben, über den Islam wenig bis gar nichts zu wissen. Das ergaben die Umfragen des Meinungsforschungsinstitut YouGov. Es überrascht nicht, dass nur 16 Prozent der Deutschen in ihrem Leben eine Moschee besucht haben.

Das Gebet als Höhepunkt

Feride Aktașversucht das zu ändern. Vier Stunden täglich werden Menschen von ihr und anderen Mitgliedern der Gemeinde durch die Moschee geführt. Das scheint ihr nicht langweilig zu werden. Ein gewisser Stolz schwingt bei allem mit, was sie über den Islam erzählt. Ihr Gesicht strahlt besonders, als sie uns das Gebet ankündigt, und jedem ist klar, dass dies der Höhepunkt der Führung sein wird. Doch bevor es beginnt, überrascht Aktașmit einer weiteren Erklärung. „Viele denken, dass Frauen und Männer getrennt beten. Aber eigentlich sprechen sie dasselbe Gebet. Die Männer beten hier unten und die Frauen dort oben.“

Bei der letzten Bemerkung weist sie auf die Galerie im ersten Stock. „Nur wenn es sehr voll ist, gehen die Frauen nach unten in den Keller. Das hat den einfachen Grund, dass wir sehr viel Platz brauchen beim Beten und, wenn wir uns vorbeugen, dem anderen nicht zu nahe kommen wollen. Aber im unteren Geschoss haben wir Lautsprecher. So können die Frauen am selben Gebet teilnehmen.“

Zeigt gern die Moschee: Feride Aktaș Foto: Furkan Meydan

„Beten hier auch Schiiten?“, fragt einer aus der Gruppe. Aktaș’schnelle Reaktion lässt vermuten, dass sie diese Frage öfter hört. „Ja, natürlich. Schiiten, Aleviten, hier können alle Moslems beten.“ In diesem Moment tritt dazu der Imam ein.

Die Regeln des Gebets sind für den uneingeweihten Zuschauer ungefähr so verständlich wie die Abseitsregeln im Fußball für einen US-Amerikaner. Anfangs singt der Imam. Irgendwann tritt er nach vorne zur Gebetsnische. Dort schweigt er manchmal, spricht eine Weile, verfällt dann wieder in einen schönen Gesang, den man auch genießen kann, ohne ihn zu verstehen. Dies alles nach einem festgelegten Zeremoniell, denn die Betenden scheinen immer schon zu wissen, wann es gilt zusammenzukommen, auseinanderzuströmen, sich hinzuknien, nach vorne zu beugen.

Während des Gebets erhebt sich einer der Gläubigen und kommt auf uns zu. Er nimmt seine Kopfbedeckung ab und setzt sie einem aus der Gruppe auf, bevor er sich wieder zum Gebet niedersetzt. Jeder, der die Szene beobachtet hat, scheint zu rätseln, was diese Geste zu bedeuten hat. Soll sie den neugierigen Besuchern signalisieren, dass sie die Betenden in ihrer Zuwendung zu Gott stören? Oder war die Kopfbedeckung ein Geschenk, um uns als Gäste zu begrüßen?

Die Antwort gibt der Mann selbst. Auf dem Weg zum Ausgang wendet er sich uns zu. Alle Blicke sind auf ihn gerichtet. Der Mann deutet eine Verbeugung an, breitet seine Arme aus und sagt: „Willkommen.“