Gericht in Straßburg straft Regierung in Budapest ab

Ungarn Oberster Richter Baka wurde zu Unrecht wegen seiner Kritik vorzeitig in Pension geschickt

WIEN taz | Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat am Donnerstag geurteilt, dass die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán den obersten Richter András Baka zu Unrecht seines Amts enthoben hat. Die 17-köpfige Große Kammer bestätigte damit ein Urteil der Kleinen Kammer vom Mai 2014, gegen das Ungarn Berufung eingelegt hatte.

Im Zuge der konservativen Umgestaltung des Staats hatte der damals mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament ausgestattete Orbán die Justiz umgekrempelt und per Gesetz alle Richter im Alter von mehr als 62 Jahren in Rente geschickt. Die Vakanzen wurden mit Vertrauensleuten der Regierung gefüllt. Baka war damals 63 Jahre alt. Die Regierung berief sich dafür auf eine neu eingeführte Vorschrift, wonach ein Richter des obersten Gerichtshofs mindestens fünf Jahre lang ein hohes Richteramt in Ungarn innegehabt haben musste. Baka war zwar höchst qualifiziert, da er Ungarn von 1991 bis 2008 als Richter beim EGMR in Straßburg vertreten hatte. Doch diese Laufbahn zählte nicht mehr. Baka hatte sich außerdem als Kritiker der umstrittenen Verfassungsreform exponiert.

Der Gerichtshof sieht es jetzt als erwiesen an, dass die vorzeitige Amtsenthebung des Richters in Zusammenhang mit dessen öffentlicher Kritik an der Verfassungsreform stand. Die Regierung in Budapest muss den Kläger zwar nicht ins Amt zurückholen, ihm aber 70.000 Euro Schadenersatz für entgangene Bezüge zahlen.

Die Senkung des Renteneintrittsalters für Richter von 70 auf 62 Jahre war Teil der politisch motivierten Justizreform vom Dezember 2011, die im November 2012 vom Europäischen Gerichtshof als Verstoß gegen EU-Recht und als „Diskriminierung aufgrund des Alters“ gewertet wurde. Ralf Leonhard