Treffer –
nicht versenkt

PROBLEME Wacklige Abwehr? Gelöst. Inspirationsloser Angriff? Gelöst. Doch nach dem 1:0 gegen Nordirland steht die DFB-Elf vor einem neuen Rätsel: der Abschlussschwäche

So lief’s: Mario Götze schießt, Michael McGovern hält Foto: Peter Kneffel/dpa

AUS PARIS Johannes Kopp

Mario Gomez nutzte die Gunst der Stunde für einen allgemeinen Appell. Nach seinem gewinnbringenden Treffer gegen Nordirland (1:0) setzte er in den Katakomben des Prinzenparkstadions von Paris ein möglichst gewinnbringendes Lächeln auf und erklärte: „Wir sollten wieder mehr Fan dieser Mannschaft werden und nicht immer wieder aufs Neue nach dem Schlechten suchen.“ Er selbst outete sich nach dem Erfolg, der gleichbedeutend mit dem Gruppensieg war, als einer der größten Fans dieser deutschen Mannschaft. Für dieses Team, sagte er, sei immer ­alles möglich. Mit diesen Worten wollte sich Gomez nicht auf eine PR-Assistenzstelle bei Teammanager Oliver Bierhoff bewerben, sondern vielmehr der nächsten aufkeimenden Debatte die Grundlage nehmen. Über die geringe Torausbeute trotz unzäh­liger guter Gelegenheiten mochte sich der 30-Jährige gar nicht weiter auslassen.

Die riesigen Erwartungen

Dass seit EM-Beginn so hoch erregte öffentliche Diskussionen über Problemzonen auf dem Fußballfeld geführt werden, zeugt aber – anders, als Gomez vermutet – eher davon, dass die DFB-Elf viele Anhänger hat, deren exorbitante Erwartungen enttäuscht wurden. Nach dem Spiel gegen die Ukraine hieß es: Mit dieser Defensive kann man keinen Titel gewinnen. Nach dem Spiel gegen Polen war klar: Wer so wenige Chancen kreiert, muss bald nach Hause fahren. Und nach dem Spiel gegen Nordirland treibt die Ineffizienz von Thomas Müller (zweimal das Torgestänge) oder Mario Götze vielen Sorgenfalten auf die Stirn.

Die Debatten haben alle ihren berechtigten Kern, sie werden nur mit einer jeweils so grundsätzlichen Brisanz aufgepumpt, dass die Bestandsaufnahmen wie überzeichnete Karikaturen wirken. Im DFB-Lager zeitigte das Wirkung. Recht dünnhäutig präsentierte man sich zuletzt wegen der Kritik. Man könnte die Vorrunde der Deutschen in der Tat auch als stufenweisen Lernprozess deuten. Stach in einem Spiel eine Schwachstelle ins Auge, so war sie im nächsten schon nicht mehr zu sehen. In diesem Sinne blickt Gomez aufs Achtelfinalspiel am Sonntag in ­Lille: „Wir hatten heute viele Chancen. Der nächste Schritt ist nun, sie reinzumachen.“

In der Partie gegen Nordirland konnte man schon einen Entwicklungssprung beobachten: Zum einen eröffnete Löw mit seinem Mut, den unerfahrenen Joshua Kimmich auf die rechte Außenverteidigerposition zu beordern, dem Offensivspiel der Deutschen neue Perspektiven. Zum anderen aber, und das war mindestens ebenso wichtig, löste er mit ein paar kleinen Verschiebungen die bisherige Blockade im Kombinationsspiel des Teams. Thomas Müller rückte stärker ins Zentrum, was ihm offensichtlich gefiel. „Ich war näher an der Gefahrenzone.“ Weil Gomez die Stoßstürmerrolle übernahm, durfte Götze auf der linken Seite ein wenig nach hinten rücken, was diesem ebenfalls sehr entgegenkam. Er fühle sich dort wesentlich wohler, ließ er wissen. Wobei er nicht nur, wegen seiner Vergabe von Großchancen etwas glücklos agierte. Der größte Profiteur des verbesserten Angriffsspiels aber war Mesut Özil. Aus Löws Sicht lag das weniger an den Verschiebungen als an den guten Laufwegen seiner Mitspieler in die Tiefe. „Dadurch ist Özil besser zur Geltung gekommen“, konstatierte er.

Der Löw’sche Dreisatz

Die verbesserten Laufwege, das höhere Tempo und das bessere Passspiel seien ausschlaggebend gewesen. Auf diesen Dreisatz brachte Löw das verbesserte Auftreten im letzten gegnerischen Drittel. Mit Vorsicht allerdings begegnete er der Frage, inwieweit seine Aufstellung Modellcharakter für die kommenden Spiele haben könnte. Auf die nächste Partie wäre diese schon übertragbar, wenn man bei ­Gegnern wie etwa Albanien oder der Slowakei auf einen sehr defensiv spielenden Gegner träfe. Auf weitergehende Gedankenexperimente ließ er sich lieber nicht ein.

Gomez zeigte ein weiteres Mal, dass er ein durchaus begrenztes Rollenrepertoire hat. Seine Passgenauigkeitsquote (78 Prozent) fiel weit vom Durchschnitt ab (92 Prozent). Aber er stand wieder einmal im richtigen Moment an der richtigen Stelle. Und weil er sich mit seiner Position im Strafraumzen­trum sehr verbunden fühlt, half er auch seinen Mitspielern. Löw hob hervor, dass er damit die beiden Innenverteidiger sehr beschäftigt und anderen damit Räume verschafft habe.

Im Unterschied zu Mario Gomez empfand der Bundestrainer jedoch die mangelnde Effizienz vor dem gegnerischen Tor nicht als Petitesse. „Zur Halbzeit hätten wir 3:0 oder 4:0 führen und dann den ein oder anderen Spieler schonen können.“