„Ich bin schon neidisch auf die Nachbarschule in Dingolfing“

Praxis Warum der Deggendorfer Schulleiter Heinz-Peter Meidinger Schleichwerbung ablehnt und dennoch gerne eine Kooperation mit BMW hätte

Heinz-Peter Meidinger

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61, ist Leiter des Robert-Koch-Gymnasiums im bayrischen Deg­gendorf und Vorsitzender des Deutschen Philologenverbands.

taz: Herr Meidinger, Sie sind selbst Schulleiter. Wie beurteilen Sie die Entscheidungen aus NRW, den Amazon-Schulwettbewerb als unzulässig einzustufen?

Heinz-Peter Meidinger: Ich kann die Entscheidung sehr gut nachvollziehen. Es ist zwar immer eine Gratwanderung, aber in diesem Fall ist die Grenze zur unerlaubten Werbung überschritten. Dieser Wettbewerb richtet sich ausschließlich an Grundschulklassen, und Kinder sind noch besonders beeinflussbar. Außerdem stammen alle Preise direkt aus dem Geschäftsbereich von Amazon. Das ist unzulässige Produktwerbung.

Die Schulbehörde in Sachsen sieht das anders. Wo beginnt bei Ihnen unerlaubte Werbung?

Erstens: Der pädagogische Mehrwert muss im Vordergrund stehen. Und zweitens: Produktwerbung ist absolut tabu. Also wenn beispielsweise die Sparkassen oder die Commerzbank Bewerbertrainings an Schulen anbieten, ist das für mich okay – solange sie im Training nicht für ihre Angebote werben. Die Stiftung Lesen hat mal mit der Mainzer Volksbank ein Unterrichtsheft zum Thema „Geld in der Grundschule“ gemacht und darin für ein Bonussystem beim sogenannten Kid-Konto geworben. Das geht gar nicht.

Was ist Ihnen sonst noch an Werbung untergekommen?

Vor gut zehn Jahren startete Bahlsen eine Sammelpunkte-Aktion, da konnten Schüler eine Klassenfahrt gewinnen, wenn sie eine bestimmte Zahl zusammenbekamen. Die Punkte waren allesamt auf firmeneigenen Produkten angebracht. Eine ähnliche Aktion gab es bei Kelloggs. Die Schüler sollten ihre Eltern unter Druck setzen, die Produkte zu kaufen. Die Aktionen wurden später verboten. Ich erinnere mich auch an eine Unterrichtsmappe der Firma Wrigley. Unter dem Slogan „Kau dich schlau“ haben sie das Kaugummikauen als positiv für die Schulleistung gepriesen, weil angeblich das Gehirn besser durchblutet würde.

Wie oft werden Sie als Schulleiter von Unternehmen angeschrieben?

Ich bekomme jede Woche Sponsoringangebote, oft kommen unangekündigt ganze Pakete.

Wird Schleichwerbung ausreichend in der Lehrerfortbildung thematisiert?

Natürlich muss das angesprochen werden, die reine Kenntnis der Gesetzeslage ist aber nicht entscheidend. Der Lehrer muss sich seiner Verantwortung bewusst sein. Da die Genehmigung von Schulbüchern äußerst aufwendig ist, holen sich Lehrer zu aktuellen Themen Unterrichtsmaterialien aus dem Internet. Gerade da ist Vorsicht geboten.

Manche Politiker fordern eine staatliche Prüfstelle für kostenlose Unterrichtsmaterialien im Internet. Was halten Sie davon?

Fachlich, pädagogisch und didaktisch gut ausgebildete Lehrer sind die beste Kontrolle. Monitoringstellen werden nie nachkommen, die Fülle an Materialien zu sichten. Ich bin kein Freund von unnötiger Bürokratie. Aber es ist wichtig, dass der Staat klare Vorgaben macht. Manche Bundesländer haben da noch Hausaufgaben zu machen.

Welche Rolle spielt die oft mangelhafte finanzielle Ausstattung der Schulen?

Bei unseren Schuletats bewegt sich gesponsertes Lehrmaterial im Promillebereich. Aber Schulen nutzen natürlich Standortvorteile. Ich sage es Ihnen ganz offen: Ich bin schon manchmal neidisch, wenn ich die Nachbarschule in Dingolfing sehe, wo BMW IT-Veranstaltungen sponsert. Davon kann ich im armen Bayrischen Wald nur träumen.

Claudia Hennen