Irgendwann springt ein Funke

AUSSTELLUNG Christa Winsloe, 1888 als Großbürgerstochter geboren und heute fast vergessen, schrieb Bücher, Feuilletons und Briefe, war Autofahrerin, Reisende, Künstlerin. Das Schwule Museum entdeckt sie wieder

Christa Winsloe muss ein ungemein lebendiger, autonomer, schräger und witziger Mensch gewesen sein

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Einfach macht es einem diese Ausstellung nicht. Wo anfangen, wo aufhören, was zuerst lesen, wo kucken, wie sich orientieren? Eine kleine Tafel mit den biografischen Eckdaten findet sich erst im zweiten – letzten – Raum, ganz hinten. Ebenfalls erst in der hintersten Ecke wird erklärt, wer Renate von Gebhardt war, aus deren Sammlung sich die überwältigende Mehrzahl aller Exponate zu Christa Winsloe speist. Die Ausstellungsdramaturgie im Schwulen Museum ist wirklich nicht übermäßig gelungen.

Man läuft zwischen den klassisch an Wand und in Vitrinen gezeigten Briefen, Büchern, Skulpturen, Filmkostümen, Filmstills und Privatfotos entlang und sammelt recht assoziativ Eindrücke. Aber irgendwann springt ein Funke über. Ein Faszinationsfunke. Ein Funke, wie er ähnlich auch beim Sehen des 1931er (Lesben-)Kultfilms „Mädchen in Uniform“ springt, einem ungemein lebendigen, vielschichtigen und tatsächlich erotischen Schwarzweißfilm. Für ihn war Christa Winsloes erfolgreiches Theaterstück „Gestern und Heute“ die Vorlage; sie schrieb auch das Drehbuch. In der Ausstellung springt besagter Funke, weil man irgendwann zusammengepuzzelt hat, was für ein ungemein lebendiger, autonomer, schräger und witziger Mensch diese Christa Winsloe gewesen sein muss.

Ein Haus für 50 Tiere

1888 in Darmstadt als Großbürgerstochter geboren, landete sie nach dem frühen Tod der Mutter in preußischen Internaten. Offenkundig eine schreckliche Erfahrung, die sie mit ihrem Theaterstück – bis heute auf Bühnen gespielt – verarbeitete. Sie studierte in München Bildhauerei, feierte mit der Schwabinger Boheme, heiratete den ungarischen Schriftsteller Lajos Hatvany, trennte sich elf Jahre später, kaufte ein Haus für sich und ihre 50 Tiere, hatte eine Liaison mit einer amerikanischen Journalistin, schrieb Bücher, Feuilletons und Briefe, war leidenschaftliche Autofahrerin, Reisende, Künstlerin. Dann kamen die Nazis, und sie geriet aus dem Tritt.

„Mädchen in Uniform“ wurde zwar nie von der NS-Zensur behelligt, obwohl es ein Film mit einer Jüdin als Regisseurin, Winsloe als Drehbuchautorin, zwei aus politischen Gründen exilierten Hauptdarstellerinnen, einem ausschließlich weiblichen Cast und einem homosexuellen Thema war. Anscheinend setzte dies Produzent Carl Froelich, seit 1939 Präsident der Reichsfilmkammer, durch. Dennoch fand Winsloe künstlerisch keine Antworten mehr auf die Fragen der Zeit. Der Versuch, in Hollywood als Autorin Fuß zu fassen, scheiterte im Ansatz. Schließlich ließ sie sich 1939 mit ihrer Schweizer Lebensgefährtin in Südfrankreich nieder, wo beide 1944, wahrscheinlich aufgrund eines scheußlichen Missverständnisses, von der Résistance erschossen wurden.

Christa Winsloe, heute fast vergessen, muss eine sehr eigenständige, sehr eigene Frau gewesen sein – und die sicher umsichtig zusammengetragenen, leider aber unübersichtlich gruppierten Ausstellungsstücke generieren eine Begeisterung für sie, in der die Trauer über ihren Tod und über die Nachhaltigkeit der Wunden, die die Nazis so vielen vitalen Emanzipationsbewegungen geschlagen haben, immer schon mitschwingen. Da ist dieses tolle Foto von Paul Cassirer, das die stämmige Winsloe um 1920 „mit ihrer Skulptur Schwein“ zeigt. Da sind diese Bilder von ihr unter einer Lederhaube, strahlend in ihrem offenen Automobil, das sie „Krischan“ nannte und das das französische Finanzamt schließlich wegen nicht gezahlter Einkommensteuer beschlagnahmte.

Da ist dieses irre Foto von 1935 („Christa Winsloe mit unbekannter Dame“): Die Dame stakst im Pelz durch den Schnee, Winsloe dagegen marschiert, mit Spazierstock, Krawatte, Bündchenhose, weißem Hemd und Baskenmütze. Aus Marlene Dietrichs Bibliothek findet sich ein Exemplar von „Das Mädchen Manuela“ (der Roman, den Winsloe nachträglich zu „Mädchen in Uniform“ schrieb), mit einer sympathisch schlichten Widmung versehen: „Herzlichen Gruß“. Um die Ecke ein Zitat aus einem Brief, in dem sie ihre Geliebte beschreibt: „Sie ist dick und komisch, gescheit und verfressen, sie spielt wahnsinnig begabt Klavier, ist Pianistin, und ich muss immer Bach anhören.“

Man kann diese Frau nicht nicht mögen. Und verlässt diese Ausstellung mit dem irritierenden, aber auch funkelnden Gefühl, dass in den 10er und 20er Jahren kreative, queere, offene Energien flossen, die bis heute fast utopische Qualität besitzen – und dass der Nachhall des brutalen Backlashs, den die NS-Zeit einläutete und der sich 1958 in der zweiten, biederen „Mädchen in Uniform“-Verfilmung mit Romy Schneider noch massiv artikulierte, langsam mal ausgeklungen sein dürfte.

■ Schwules Museum, Mehringdamm 61, bis 4. März 2013