Letztes Zuhause für späte Jahre

Einst Nachkriegs-Nothilfe, heute größter ostdeutscher Wohlfahrtsverband besonders für alte Menschen: Die Volkssolidarität feiert am 17.Oktober ihren 60. Geburtstag

DRESDEN taz ■ „Das ist mein letztes Zuhause!“ Rentner Werner Rüdiger ist stolz auf sein Zimmerchen mit Loggia und Stadtblick im Plattenbau der Neubausiedlung Dresden-Gorbitz. Im Dörfchen Gorbitz wurde er vor 90 Jahren auch geboren, als es noch kein sozial-kulturelles Zentrum der Volkssolidarität hier gab. „Zu DDR-Zeiten war ich eher gegen die Volkssolidarität, weil die immer so penetrant mit der Sammelbüchse kamen“, gesteht der rüstige Senior. „Aber man weiß ja nie, wen und was man im Alter brauchen wird.“

Das Gorbitzer Zentrum ist typisch für das Seniorenkonzept der Volkssolidarität: Alles unter einem Dach. „Wohnen in Geborgenheit“, Tagespflege, Kurzzeitpflege, Begegnungsstätte, Essens- und Kulturangebot. In der Hälfte der 617 ostdeutschen Einrichtungen ist noch ein Kindergarten dabei.

Äußerlich ist die Gorbitzer „Platte“ in einem Topzustand. 80 Prozent öffentliche Fördermittel und 20 Prozent Eigenanteil haben die Sanierung möglich gemacht. Dass die Rente für den Heimplatz nicht ausreiche und Sozialhilfe hinzukommen müsse, beklagen Bewohner zwar und fragen sich, ob das Essen im nächsten Jahr „noch bei drei fuffzich“ bleibt. Dennoch sei die Volkssoli, die am kommenden Montag ihren 60. Geburtstag hat, das angenehmste Überbleibsel der DDR, so hört man.

Historisch ist das allerdings nicht ganz richtig. Denn die Volkssolidarität entstand als eine Reaktion auf das Nachkriegselend vier Jahre vor der DDR-Gründung in der sowjetischen Besatzungszone. Vom 17.Oktober 1945 datiert der Aufruf des „Blocks der antifaschistisch-demokratischen Parteien“ KPD, SPD, LDPD und CDUD, des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds und der Landeskirchen mit dem Titel „Volkssolidarität gegen Winternot“. Es ging um „brüderliche Hilfe“, Hausreparaturen und Wohnungsbeschaffung. Kurz darauf gründete sich auf Initiative der Landesverwaltung Sachsen hin in Dresden die Volkssolidarität, das „rettende Werk“.

In der DDR-Zeit entwickelte sie sich zu der Seniorenbetreuungsorganisation schlechthin. Sie konnte nicht systemfern agieren, zog aber auch keine Vorteile aus der staatlichen Verflechtung, wie Bundesgeschäftsführer Bernd Niederland heute betont. So durfte sie beispielsweise keine Immobilien besitzen und keine Erbschaften antreten. Ein entscheidendes Handicap zu Wendezeiten, als man mit nichts als dem Vertrauen der Mitglieder in den Umbau ging.

Gerade aber der gute Ruf und die Mitgliedertreue haben die Volkssolidarität mehr als nur überleben lassen. 360.000 Mitglieder, 33.700 ehrenamtliche und 14.500 hauptamtliche Mitarbeiter machen die Volkssolidarität zum größten Wohlfahrtsverband im Osten. Aber auch in Berlin gibt es Einrichtungen. In Ratingen, in Holzminden und bald auch in Lörrach existieren Ortsgruppen. 5.700 Fördermitglieder spenden aus dem Westen. Für die Zukunft rechnet Geschäftsführer Niederland zwar mit weiteren finanziellen Einschnitten, auf die man aber eingestellt sei.

MICHAEL BARTSCH