Der Schweine-Alarm

„Die Zustände in der Schweinemast waren katastrophal!“

AUS HASSLEBEN SANDRA LÖHR

Schon am Eingang begrüßen einen die Schweine. Allerdings sind sie nicht aus Fleisch und Blut. „Ja zur Schweinemastanlage! Für Arbeitsplätze und sozialen Ausgleich!“ steht auf dem selbst gemalten Plakat am Ortseingang von Haßleben. Daneben hat jemand zwei lebensgroße rosa Pappschweine aufgestellt, die den Autofahrern fröhlich zuwinken. Doch nur ein paar Häuser weiter verkündet ein Schild im Vorgarten eines Hauses: „Nein zur Schweinemast, nein zu stinkender Gülle!“ Pro und kontra. So kann man es immer abwechselnd an der Hauptstraße lesen.

Haßleben, ein kleiner Ort etwa 90 Kilometer nordöstlich von Berlin, ist in eine Bilderbuchlandschaft eingebettet, die sich Uckermark nennt: Hügelige Felder wechseln sich mit Seen und Alleen alter Kastanienbäume ab, dazwischen ein paar Dörfer. Diese Gegend gehört zu einer der ärmsten und am dünnsten besiedelten Regionen in Deutschland, aber im sonnigen Herbstlicht erscheinen die Ruinen der Häuser und Fabriken, an denen man vorbeifährt, wenn man nach Haßleben will, beinahe schön. Das hier ist die Vergangenheit und gleichzeitig die Zukunft einer Gesellschaft ohne Industrie.

Doch Frank Skomrock möchte nicht zur Vergangenheit, aber schon gar nicht zu dieser Zukunft gehören. Der stämmige Mann mit dunklen Haaren und Vollbart steht am Eingang der Haßlebener Schweinemastanlage und erklärt, wie es hier aussah und wie es wieder aussehen könnte, wenn in die beiden großen Ställe nur wieder Schweine einziehen dürften. In der DDR wurden hier schon einmal jährlich bis zu 146.000 Tiere gemästet. Doch 1991 wurde der Betrieb stillgelegt.

Fast 800 Beschäftigte hatte die Anlage damals, um die das ganze Leben im Dorf kreiste. Allein in den Betriebskindergarten gingen hundert Kinder. Jetzt überwuchert das Gras das umzäunte Gelände, und in ganz Haßleben gibt es heute nur noch 15 Kinder, die noch nicht zur Schule gehen.

Nein, Frank Skomrock möchte wirklich nicht zur Vergangenheit gehören. Genauso wenig wie Ute Marks oder Günter Weihrauch, die mit ihm zusammen an diesem sonnigen Herbsttag vor der Anlage stehen und erklären, warum die Schweine wiederkommen müssen. Sie alle haben einmal hier gearbeitet. Sind früh am Morgen aufgestanden, durch den Eingang mit den Desinfektionseimern gegangen und haben sommers wie winters in den beiden großen Gebäuden verbracht, um die Schweine zu füttern, die Ställe sauber zu halten und sich um die technischen Geräte zu kümmern. Sie wollen nicht zur Vergangenheit gehören, sondern zur Zukunft. Und dass diese nur an die DDR-Vergangenheit anknüpfen kann, ist für sie logisch.

„Die Menschen hier brauchen doch wieder Arbeit“, sagt Frank Skomrock. Und dass es schon lange keine Arbeit und damit also auch keine Zukunft mehr gibt in Haßleben, versteht er nicht. Und noch weniger versteht er, dass die Menschen, die endlich wieder Arbeit nach Haßleben bringen wollen, hier nicht mit offenen Armen empfangen werden. Dass es so viel Widerstand gegen die Pläne des holländischen Unternehmers gibt, der die Anlage wieder in Betrieb nehmen möchte. Wegen des Tierschutzes. Und des Umweltschutzes. Das sind so die Argumente, die gegen eine Wiederinbetriebnahme von einigen Gegnern vorgebracht werden und die Frank Skomrock, Ute Marks und Günter Weihrauch nicht verstehen können, weil es schließlich wichtigere Sachen gibt als so „ein bisschen Güllegestank auf den Feldern“, wie Günter Weihrauch grimmig sagt.

Eine Bürgerinitiative haben sie gegründet, die sich „Pro Schwein“ nennt und dafür kämpft, dass der Holländer hier seine Schweine mästen darf. 54 Arbeitsplätze sollen dabei entstehen. „Vierundfünfzig!“, betont Frank Skomrock. Für die Gemeinde Haßleben, wo fast jeder zweite arbeitslos ist und viele täglich ins rund 100 Kilometer entfernte Anklam zum Arbeiten fahren, ist das unvorstellbar viel.

Einer, der das ganz anders sieht ist Peter Hartlich. Er ist einer der Gründer der Bürgerinitiative „Kontra Industrieschwein“ und damit so etwas wie ein Widersacher von Frank Skomrock, Ute Marks und Günter Weihrauch. Ein grauhaariger Mann Ende fünfzig, der trotz des warmen Herbstes eine dunkelbraune Lederhose, Wollpullover und feste Wanderschuhen trägt. Der Architekt wohnt etwa zehn Autominuten von Haßleben entfernt auf einem kleinen Hof, der sich zwischen den Feldern versteckt und „Karolinenhof“ heißt.

Sein Haus ist einfach eingerichtet, ein Holztisch steht neben Apfel- und Pflaumenbäumen, gleich nebenan grasen ein paar Pferde. Schon einmal hat er erlebt, wie es ist, wenn die Schweinemast in Betrieb ist. 1978 war das, und damals sah er, wie sich der See vor seiner Haustür veränderte: Das Schilf verschwand, stattdessen bildeten sich überall Blaualgen. Die Gülle der Tiere, die mit Desinfektions- und Medikamentenresten versetzt war, wurde auf die umliegenden Felder verteilt und lief in den See, der irgendwann umkippte. „Die ganze Gegend stank, und irgendwann gab es sogar ein paar Fälle mit Verdacht auf Hirnhautentzündung“, sagt Hartlich kopfschüttelnd. Aus diesem Grund wurde die Anlage dann geschlossen. Seit fünf Jahren ist der See wieder sauber. Heute kann man wieder darin baden. Schon damals hat er mit anderen gegen die Schweinemast gekämpft. Nicht nur wegen seines Sees, auch wegen der beiden großen Ställen, wo zu Spitzenzeiten bis zu 140.000 Tiere auf engstem Raum gehalten wurden.

Von den Zuständen damals kann Claus Spangenberg erzählen, der sich auch in der Bürgerinitiative „Kontra Industrieschwein“ engagiert und jetzt neben Peter Hartlich an dem Holztisch vor dem Haus sitzt. Er ist Tierarzt, und in der DDR wurde er ab und zu für die Schweinemastanlage zwangsverpflichtet. „Die Zustände dort waren katastrophal“, sagt er knapp. „Da wollte keiner gerne als Tierarzt arbeiten.“ Schweinemast, so sagt er, bedeutet auch heute noch: Mit drei Monaten kommen die Ferkel in die Mast und werden dann innerhalb von vier Monaten so gemästet, dass sie schlachtreif sind. In den meisten Ställen sind die Tiere so eng untergebracht, dass sie sich kaum bewegen können. Tageslicht sehen sie nie. Viele der Tiere erleiden dadurch gesundheitliche Schäden.

„Die Menschen hier brauchen doch wieder Arbeit!“

„So was will doch keiner in seiner Nachbarschaft haben. Warum will der holländische Unternehmer wohl gerade hier in dieser armen Gegend einen Betrieb aufziehen?“, fragt Spangenberg und haut erregt mit der flachen Hand auf den Tisch. „Weil er hier keinen Widerstand erwartet. Hier wurde seit 1994 nichts mehr investiert. Und deswegen ist die Schaffung von Arbeitsplätzen mittlerweile ein Totschlagargument.“

Von den „Pro Schwein“-Leuten wurden Claus Spangenberg und Peter Hartlich schon als „Hobby-Job-Killer“ beschimpft. Doch das macht ihnen nichts aus. Ende 2003, als die Pläne des holländischen Investors bekannt wurden, setzten die beiden Himmel und Hölle in Bewegung, um eine Wiederinbetriebnahme der Anlage zu verhindern. Zuerst waren sie nur zehn Leute, dann immer mehr. Mittlerweile stehen zahlreiche Umwelt- und Tierschutzverbände hinter ihrer Bürgerinitiative. Auch einen Anwalt haben sie, den sie aus Spenden finanzieren. 1.200 schriftlichen Einwänden gegen die Wiederinbetriebnahme kamen beim Brandenburger Landesumweltamt zusammen. Das Amt setzt einen öffentlichen Erörterungstermin an, der drei Tage dauerte, für die Behandlung der Einwände dennoch nicht ausreichte und nächsten Dienstag, den 18. Oktober, fortgesetzt wird. Weitere Termine sollen folgen. Für eine abschließende Entscheidung sei „absolut noch kein Zeithorizont“ abzusehen, heißt es aus dem Amt, das die abschließende Bewertung des Falles daher hinausschieben will. Der Streit der beiden Initiativen lockte viele nach Haßleben. Die Bild-Zeitung titelte: „Hass in Haßleben“ und schrieb vom „Schweinekrieg“. Aber von Hass ist nichts zu spüren. Eher von Verzweiflung, von Angst, die Menschen wie Ute Marks haben, die zurzeit ebenso wie ihr Mann von Hartz IV lebt und einfach noch mal eine Chance haben möchte in ihrem Leben. Ute Marks ist Mitte vierzig.

Auch Günter Weihrauch hat nur Wut im Bauch, schließlich hat er 1977 als Agraringenieur das Werk mit aufgebaut. Er zeigt auf zwei Wohnblöcke, die kurz vor dem Eingang der Anlage stehen und in denen früher viele Arbeiter gewohnt haben. Aus vielen Fenstern gähnt es schwarz, nur noch an einigen hängen Gardinen. „In Haßleben leben nur noch 600 Leute, früher waren wir 1.000. Die haben hier einfach das Werk ausgeplündert und es schließlich dichtgemacht, ohne an die Menschen zu denken.“

Die Schweinemastanlage in Haßleben ist groß. Viel größer als der ganze Ort. So groß wie 20 Fußballfelder, und vielleicht ist es die Größe, weswegen die Hoffnung auf Arbeitsplätze hier zuletzt stirbt. 20 Millionen Euro würde es kosten, wenn man alles abreißen wollte. „Wir wollen hier schließlich nicht so werden wie die Leute auf Sizilien, wo sie nur auf den Scheck aus dem Norden warten und wo nur noch die Alten vor ihren Häusern sitzen“, sagt Günter Weihrauch wütend und erzählt wieder, wie es war, das Leben mit der Schweinemast. Ganz zum Schluss sagt er etwas leiser: „Vielleicht wäre es besser gewesen, sie hätten damals nach der Wende die ganze Anlage hier gleich abgerissen. Dann wäre einfach Ruhe gewesen.“