Intuition, die keine ist

FOTOGRAFIE Liebe zu den eigenen Kindern: Das Museum Kunstpalast in Düsseldorf stellt 60 Großformate von Andreas Gursky aus – aufwendig gearbeitete Dekoration für die herrschaftlichen Anwesen seiner Sammler

Gurskys Fotografien war früher eine zweite Ebene eigen. Dieses entfremdete und nicht zu identifizierende Individuum, das er in die Bildkomposition drängte, ist heute aus seinen großformatigen Fotografien verschwunden

VON DAMIAN ZIMMERMANN

Es scheint, als hätten die Düsseldorfer plötzlich die Liebe zu ihren eigenen Kindern entdeckt: Zeigte im vergangenen Jahr das K20 die erste museale Einzelausstellung von Thomas Struth auf heimischen Boden überhaupt, so zieht nun das Museum Kunstpalast nach und widmet dem vielleicht bekanntesten Becher-Schüler Andreas Gursky eine von ihm selbst kuratierte Retrospektive. Es ist seine erste Ausstellung in der Landeshauptstadt seit 1998.

Überall Retrospektiven

Die kann nun freilich nicht groß überraschen, werden doch bereits seit Jahren überall auf der Welt Retrospektiven des gebürtigen Leipzigers gezeigt – die populärsten in Deutschland dürften die Ausstellungen 2007 in München sowie ein Jahr später in Krefeld gewesen sein. Letztere konnte wenigstens noch damit punkten, dass sie mit 130 Fotografien die bis heute umfassendste Schau überhaupt zum Werk Gurskys war. Das war in den vergleichsweise kleinen Mies-van-der-Rohe-Gebäuden Haus Lange und Haus Esters nur deshalb möglich, weil fast ausschließlich Abzüge im für Gursky geradezu winzigen Format von 40 x 50 Zentimeter zu sehen waren. Nur sechs, sieben großformatige Ausnahmen gönnte man der Ausstellung, und auf die Frage, warum er seine Bilder denn nicht schon vorher klein gezeigt habe, wenn er denn so zufrieden mit ihnen sei, brachte es Gursky damals auf die knappe und erstaunlich ehrliche Formel: „Kleines Format, kleines Geld“.

Im Düsseldorfer Museum Kunstpalast haben sich die Verhältnisse nun wieder umgekehrt, sprich normalisiert. In den riesigen Räumen – Gursky hat die Ausstellungsarchitektur der erfolgreichen El-Greco-Schau einfach übernommen – finden gerade 60 Arbeiten Platz, wobei sich darunter auch knapp ein Dutzend Kleinformate befinden. Seine früheste Arbeit, der weiße Gasherd mit den drei blauen Flammen aus dem Jahr 1980, ist eine davon. Doch bei anderen Arbeiten wie dem wuseligen Madonna-Konzert geht die Bildwirkung vollkommen verloren.

Dabei kommt es Andreas Gursky doch genau auf diese Wirkung an: Betrachter sollen in seine Großformate eintauchen wie die Zuschauer in eine riesige Kinoleinwand. Wobei der Vergleich hinkt, denn Gursky will niemals Geschichten erzählen. Im Spiegel-Interview Anfang des Jahres sagte er jedenfalls: „Bilder sollen, so denken viele, etwas erzählen – doch das wäre Journalismus. Ich muss keine Geschichten erfinden.“ Er vertraue „den Bildern, und die Bilder folgen ihrer eigenen Sprache und Grammatik, die sich eben nicht mit dem üblichen begrifflichen Denken deckt.“ Inhaltlich ist das zwar Quatsch, denn niemand käme jemals auf die Idee, die erzählerischen Fotografien von Jeff Wall oder Gregory Crewdson in die Journalismusschublade zu stecken, doch seine Worte klingen geheimnisvoll und untermauern suggestiv seinen Geniestatus: Gursky schafft etwas Großartiges, was man nicht erklären kann und wofür es noch keine Begriffe gibt.

Wenn man es dann doch probieren möchte, werden gerne Beispiele aus der Kunstgeschichte herangezogen: aktuell vor allem aus dem abstrakten, amerikanischen Expressionismus. Oder natürlich Claude Monet, um Gurskys jüngste und in Düsseldorf übrigens fast vollständig gezeigte Bangkok-Serie, für die er den Chao-Phraya-Fluss in Bangkok als schwarz funkelnde und mit Unrat übersäte, pseudo-abstrakte Fläche fotografiert hat. Immer gut macht sich auch der Hinweis auf die angeblich „intuitive Vorgehensweise“, wie Kunstpalast-Generaldirektor Beat Wismer in seiner Einführung unterstrich. Das hallt bedeutungsschwer nach, sagt aber nichts über die Qualität aus – schließlich kann man intuitiv auch das Falsche machen. Vor allem aber passen Intuition und Andreas Gursky so gut zusammen wie Fortuna Düsseldorf und die Champions League.

Gursky selbst beschrieb seine Arbeitsweise auf der Pressekonferenz sehr ausführlich: Er gehe mit offenen Augen durch die Welt und lese jeden Tag die Zeitung. Für manche Bilder reise er dann gezielt irgendwohin – beispielsweise nach Hamm ins Bergwerk oder ins nordkoreanische Pjöngjang. Andere Motive finde er per Zufall – wie eben jenen Chao Phraya in Bangkok. Vor Ort knipst Gursky einige Probefotos und kehrt nach Düsseldorf zurück, wo seine Zeit der Reflexion beginnt. Wenn er eine Bildidee entwickelt, setzt Gursky sie schließlich mit hohem technischem Aufwand um, wobei ihm die Fotografien lediglich als Grundlage dienen: Um sein „persönliches visuelles Erlebnis“ auf den Punkt zu bringen, montiert er die Bilder aufwendig am Computer – allein für die neunteilige Bangkok-Serie habe er die letzten eineinhalb Jahre in seinem Atelier verbracht, wie er betont. Das klingt wenig nach Intuition, sondern eher nach harter Fleißarbeit – und auch nach Kalkül.

Besonders seit den späten neunziger Jahren setzt Gursky verstärkt auf großflächige Strukturen. Die waren zwar schon früher wesentlicher Bestandteil seiner Bilder, doch gab es immer auch eine zweite Ebene. Meist war es das entfremdete und nicht zu identifizierende Individuum in der Masse, das er in ein Bild drängt und häufig etwas Größerem gegenüberstellt. Um den Vergleich noch einmal zu bemühen: Das war damals ganz großes Kino.

Heute fehlt diese Ebene, dieses gewisse Etwas häufig. Stattdessen: großflächige Strukturen, die hin und wieder auf andere Strukturen treffen. Das ist legitim – aber es ist auch eines der simpelsten gestalterischen Mittel in der Fotografie überhaupt und wird eigentlich nur noch vom Goldenen Schnitt unterboten. Aber: Die Ergebnisse sind fast immer sehr dekorativ – und passen deshalb gut zu den Design-Klassikern in den Villen von Gurskys Sammlern.

■ Verlängert bis. 3. Februar, Museum Kunstpalast, Düsseldorf, Katalog (Steidl Verlag) 24,80 Euro, www.smkp.de