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Heimweg Auf dem taz-Blog „Heimweg“ berichten Frauen von sexuellen Übergriffen im Alltag
: Keine Kavaliersdelikte

von Waltraud Schwab

Den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln folgte landesweite Empörung über die sexuelle Gewalt, die Frauen dort erfahren hatten. Empörung allerdings, die nur deshalb aufkam, weil sie mit ausländerfeindlichen Ressentiments angefeuert war.

Was aber hat es mit der fehlenden Empörung in Sachen sexualisierte Gewalt auf sich, wenn die Täter Männer sind, die die gleiche Hautfarbe haben wie die Opfer, die gleiche Sprache sprechen, im gleichen Kulturkreis sozialisiert wurden? Männerhände, die Frauen unter den Rock greifen – ein Kavaliersdelikt. Männerstimmen, die Mädchen „Komm ficken“ zurufen – eine Petitesse. Männerkörper, die sich an Frauen in aller Öffentlichkeit reiben – eine Bagatelle. Männerschwänze, die Frauen entgegengestreckt werden – ein Versehen. Viele Frauen haben diese Art von sexualisierter Gewalt im Alltag erlebt. Vor allem kennen nahezu alle Frauen die Angst davor.

Nach den Übergriffen in Köln baten wir taz-­KollegInnen, über ihre Erfahrungen auf dem Heimweg zu berichten. Denn klar ist, vor allem nachts rechnen die meisten Frauen mit unangenehmen Begegnungen und wappnen sich. Sie telefonieren den ganzen Heimweg über mit jemandem, sie haben ihre Schlüssel griffbereit in der Hand, als Waffe oder um schnell ins Haus zu kommen, sie wechseln die Straßenseite, wenn vor ihnen eine Gruppe Männer auftaucht.

Die Erfahrungsberichte, die von den KollegInnen aus der taz eintrafen, waren schockierend. (siehe: www.taz.de/heimweg1) Meistens wiederholen sich in den Selbstzeugnissen dabei folgende Muster: Viele Frauen suchen den Fehler bei sich. Sie zeigten die sexualisierte Gewalt, die sie erfuhren, so gut wie nie an, weil sie Anzeigen für zwecklos hielten. Teilten sie sich doch jemandem mit, mussten sie mit Verharmlosung rechnen. Und: Die Frauen konnten die erfahrene Gewalt nie vergessen.

Illustrationen: Stephanie F. Scholz

Felix Zimmermann, Ressort­leiter der taz.am wochenende, schlug daraufhin vor, einen Heimweg-Blog auf taz.de zu eta­blieren. Seither schildern uns LeserInnen ihre Erlebnisse mit sexualisierter Gewalt, die sie, meist in der Öffentlichkeit, erfahren haben. Über hundert Blogbeiträge haben wir mittlerweile online gestellt. Um den Vorwurf, wir viktimisierten die Frauen, zu entkräften, veröffentlichten wir in der taz.am wo­chen­en­de auch eine Seite mit Berichten, in denen Frauen erzählen, wie sie sich in Angriffssituationen gewehrt haben. (siehe: www.taz.de/heimweg2)

Das Feedback, das wir bekommen, bestätigt, dass die Berichte auf dem Heimweg-Blog so etwas wie einen Lehrcharakter haben. „Ah, so kann man sich wehren.“ „Ja, laut werden schützt.“ Einen weiteren Bericht, der nicht nur eine Vergewaltigung schildert, sondern auch sehr klar analysiert, was passiert, wenn Sexismus gegen Rassismus ausgespielt wird, veröffentlichten wir ebenfalls. (siehe: www.taz.de/heimweg3)

Der Blog dokumentiert, wie dringend die – nun doch geplante – Reform des Sexualstrafrechts ist. Er ist eine Sammlung, die auch für Forschungszwecke genutzt werden kann. Wir laden Sie ein, uns weiterhin Ihre Erlebnisse zu schildern. Der Blog wird von den Redakteurinnen Steffi Unsleber und Waltraud Schwab betreut. Erst nach Rücksprache mit den VerfasserInnen werden die Texte online gestellt.

Schicken Sie Ihre Berichte an: heimweg@taz.de

Der taz-Blog Heimweg:blogs.taz.de/heimweg