Hype um das Kopftuch: Denn Mode lehrt Treulosigkeit

Donna Karan, Zara, H & M verkaufen ihn. Dennoch: Die Wette auf den Hidschab als so züchtigen wie modischen Klassiker wird kaum aufgehen.

Frau mit Kopftuch und farbenfrohem Schirm

Hidschab ganz traditionell, getragen in Dhaka zu Beginn des Ramadan Foto: imago/Zuma Press

Es ist nicht so, dass es uns erst nachdem Dolce & Gabbana eine eigene Kollektion von Hidschabs und Abajas vorstellte, aufgefallen wäre, wie sich der Hidschab stilvoll, mit mehr oder weniger Schick tragen lässt. Dass das Thema erst in diesem Moment medientauglich wurde, ist freilich wenig verwunderlich.

Die Modelabels der Luxusindustrie sind ein wichtiger Bestandteil der medialen Celebrity-Kultur, was immer sie gerade mal propagieren, es ist der Rede wert. Und jetzt sind die züchtigen Ramadan-Kollektionen von Donna Karan, Uniqlo, Tommy Hilfinger, Mango und Zara der große Hype und werden als grandioser Durchbruch des Kopftuchs in der High-Fashion wie in der Popkultur gehandelt. Aber geht es nicht vor allem um den Durchbruch im muslimischen Kleidermarkt?

Weltweit gibt es 1,6 Milliarden muslimische Konsumenten. Ihre Kaufkraft wollen auch westliche Labels abschöpfen. 484 Milliarden Dollar für Kleidung und Schuhe werden das nach einer Studie von Thomas Reuters und Dinar Standard, einer muslimischen Marktforschungsfirma, im Jahr 2019 sein.

Im Hintergrund des Hypes freilich läuft eine Wette mit. Es wird darauf gesetzt, dass der modisch mit Statement-Sonnenbrille und Tausende Euro teurem It-Bag getragene Hidschab die nichtmuslimische Welt endgültig überzeugt, im Kopftuch nicht länger den patriarchal-religiösen Zwang zu sehen, dem die muslimische Frau unterworfen ist, sondern ihr frei gewähltes Bekenntnis zum eigenen Glauben und zur eigenen Kultur: eine selbstbewusste Einwilligung in den züchtigen Auftritt, ohne dabei auf modisches Raffinement zu verzichten.

Mit Traditionen brechen

Dieses Ideal feiert denn auch der viel gelobte H &M-Werbe-clip „Close the Loop“ − weshalb es in ihm nicht um fromme Kleidung, sondern um umweltfreundliches Recycling geht. Die schöne junge Frau in der schwarzen weiten Hose, dem altrosa Mantel, der schicken Handtasche und dem voluminösen, die Haare vollständig verbergenden Kopftuch, vertritt denn auch dieses Recyling-Konzept als eine unter vielen gleichgesinnten Protagonisten des Clips.

Trotzdem, die Wette auf den Hidschab als gleichermaßen züchtigen wie modischen Kleidungsklassiker wird nicht aufgehen. Dagegen steht die Geburt der Mode aus dem Geist der Moderne. Mode, das heißt mit Tracht und Tradition brechen, mit Stand und Rang und mit dem christlichen Gebot, dass die Frau ihre Beine nicht zeigen darf.

Modisch kann der Hidschab nie sein, andernfalls verliert er seine Funktion. Die Kluft zwischen säkularer und religiöser Kleidung ist nicht zu überbrücken

Mode bestreitet die Geltung religiöser, gesellschaftlicher und politischer Kleidervorschriften. Und das tut sie auch in dem für die Mode charakteristischen Prozess des An- und Enteignens von religiös, gesellschaftlich oder geschlechtlich wie auch politisch kodierter Kleidung, handle es sich um enge Männerhosen, die Nieten- und Piercingoptik des Punk oder nun womöglich um das Kopftuch. Ihrem gegen Herkommen und Kirche gerichteten säkularen Ursprung verdankt die Mode ihr emanzipatorisches Vermögen, die Opposition von Sein und Schein, von Eigentlichem und Uneigentlichem zu destruieren, und ihre Lust am Neuen, Unvorhergesehenen, Überraschenden, auch am Schockierenden.

„In der Aversion gegen Provinzialismus, gegen jenes Subalterne, das sich fernzuhalten den einzigen menschenwürdigen Begriff künstlerischen Niveaus abgibt“ sah denn auch Theodor W. Adorno die Mode im Einklang mit der Kunst. Wer das Stichwortverzeichnis in seiner „Ästhetischen Theorie“ unter den Begriffen „Mode“ und „neu“ konsultiert, erfährt, wie gerade das Unstete der Mode den Philosophen der Negativität faszinierte.

Vergnügen an der Treulosigkeit

Und er war nicht der Erste, der die Mode, die „schillernde Außenhaut der Moderne“ als Inbegriff von Flüchtigkeit und Vergänglichkeit, von Frivolität und der Privilegierung des Transitorischen lobte. Der Berliner Soziologe Georg Simmel etwa beobachtete, wie die Mode als „reizende Dienerin des Neuen die Vergangenheit entwertet“. Und wenn er in seiner „Philosophie der Mode“ 1905 bemerkt, die Subjekte hätten gegenüber der Mode das „Recht auf Treulosigkeit“, dann fragt man sich, ob die Mode nicht die Menschen überhaupt die Lust und das Vergnügen an der Treulosigkeit lehrt und am Modischen ganz allgemein, zeige es sich in der flüchtigen Meinung, der Saison eines Künstlers oder eines Kunststils, der sozialen Attraktivität bestimmter Gesten der Sprache oder des Benehmens.

Modisch in diesem Sinne, heute geliebt und morgen vergessen, kann der Hidschab nie sein, andernfalls verliert er seine Funktion. Die Kluft zwischen säkularer und religiöser Kleidung ist nicht zu überbrücken, gleichgültig um welche Religion es sich handelt. Und das gilt auch für vestimentäre Politik. Mode macht durchaus politische Aussagen, aber sie verweigert sich dem politischen Bekenntnis − das der Hidschab des Öfteren eben auch ist. Die demokratische, liberale Gesellschaft akzeptiert das.

Dass sie den Hidschab dann sehr richtig als Zeichen des politischen Widerstands gegen ihre säkulare, liberale Ordnung betrachtet und darüber wenig begeistert ist, kann man ihr kaum vorwerfen. Bliebe die Empörung aus, erübrigte sich „Hidschab als Punk“, wie es zuletzt in der taz hieß. (Und nebenbei bemerkt ist Punk in seinem 40. Jahr auch nur eine Art Trachtenverein.)

Dementi religiöser Prüderie

Gleichzeitig muss die liberale Gesellschaft auch die modische Attitüde des Hidschab nicht für bare Münze nehmen, als Dementi religiöser Frömmigkeit und Prüderie. Selbst wenn sich aus muslimischer Sicht die Frau, die den Hidschab schicker, etwa mit den Accessoires der angesagten internationalen Modelabels trägt, vom eigentlichen Sinn der religiösen Kleiderordnung distanziert, der sie folgt. Verlangt diese doch Bescheidenheit und Zurückhaltung in Kleidung und Auftreten, was beides unvereinbar ist mit dem Wunsch nach einer modischen Aussage und dem Statusverlangen der Luxuslabels.

Mit einem Sprichwort aus der Schneiderei: Wie man es auch dreht oder wendet, es gibt kein „to have the cake and eat it too Modell“ für den Hidschab und seine Trägerin. Will sie eine modische Erscheinung sein, fallen Kosten an, und die betreffen nicht nur die Dior-Handtasche.

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