Kunst Finanzen, Selbstbefriedigung und Klärschlamm: Die Manifesta 11 wird in Zürich eröffnet
: Was wer für Geld tut

Kollaborationen: Performerin in einer Installation der Künstlerin Jennifer Tee Foto: Arnd Wiegmann/reuters

von Gina Bucher

Einige Zürcher/innen tragen seit Wochen ihre Einkäufe mit schwarz-weißen Manifesta-Tragtaschen durch die Stadt: Mit dem Motto „What People Do for Money: Some Joint Ventures“ und Piktogrammen arbeitender Menschen bewirbt die größte Schweizer Supermarktkette Migros die Schau. Die Piktogramme illustrieren die Liste, aus der sich die eingeladenen Künstler einen Gastgeber aussuchen konnten, um zusammen für die Kunstbiennale ein Werk zu schaffen.

„Kaum eine Stadt ist so geprägt von ihren beruflichen wie geschäftlichen Aktivitäten wie das protestantische Zürich“, erklärt Christian Jankowski das Thema für diese elfte Ausgabe der Manifesta. Erstmals kuratiert ein Künstler die europäische Wanderbiennale. Alle neu entstandenen Arbeiten werden dreifach an verschiedenen Orten gezeigt: im Ausstellungskontext mit anderen Arbeiten, am Entstehungsort und in Form von Dokumentarfilmen im eigens konstruierten Pavillon of Reflections, der auf dem Zürichsee schwimmt.

Für die insgesamt 30 Neuproduktionen trafen sich internationale Künstler mit lokalen Berufsleuten. So besuchte der amerikanische, in Frankfurt lebende Künstler Mike Bouchet die städtische Kläranlage, betrachtete dort eine Zürcher Tagesportion Klärschlamm und entschied sich, aus ebendieser „Load“ eine Skulptur für ein Museum zu schaffen. Unterstützt hat ihn dabei der Verfahrensingenieur Philipp Sigg.

Ein solches Werk in Eigenregie zu realisieren wäre unmöglich gewesen. Allein der Bewilligungen wegen, erklärt Bouchet während der Vorbereitungen im Migros Museum für Gegenwartskunst, wo er und seine Mitarbeiter und einige laute Bauaustrockungsmaschinen auf Hochtouren arbeiten. Die 252 Blöcke komprimierten Klärschlamms sind hochgiftig und dürften eigentlich das Klärwerk nicht verlassen.

Die ungarische Künstlerin Andrea Éva Györi suchte sich dagegen eine Sexologin als Gastgeberin aus, weil sie sich mit dem Verhältnis zwischen Fantasie und Körper auseinandersetzen wollte. Sie porträtierte bei privaten Treffen sieben Frauen, während sie sich selbst befriedigten, und bat sie anschließend, ihr von ihren Fantasien zu erzählen.

Erstaunlich wenige Künstler/innen bewarben sich für jenen Arbeitsbereich, für den Zürich weltweit bekannt ist: den Finanzsektor.

Begegnungen mit Bankerin

Darüber gewundert hat sich auch die griechische Künstlerin Georgia Sagri. Aus den Begegnungen mit der Bankerin Josephin Varnholt schuf sie zwei identische Installationen mit Malerei, Text und Video, die im Löwenbräu-Areal und in der Bank Julius Bär gezeigt werden, dem Arbeitsplatz ihrer Gastgeberin. Von Anfang an sei ihr klar gewesen, sagt Sagri, dass sie sich nicht für ein Stereotyp interessiere, nicht dafür, wie Menschen ihr Geld verdienen, sondern wer diese Menschen eigentlich sind.

Dass interessante Arbeiten entstehen, wenn Künstler mit Berufsleuten zusammenarbeiten, verwundert nicht. Doch nicht alle Künstler haben sich für ihre Kollaborationen tatsächlich mit dem Wert der Arbeit oder dem gastgebenden Berufsfeld nach dem Motto „What People Do for Money“ auseinandergesetzt. Viele haben die Berufsliste auch als Gelegenheit genutzt, endlich eine Arbeit zu realisieren, die sie bisher nicht machen konnten, wofür ihnen bislang die Expertise fehlte – oder womöglich das Geld.

Denkt man bei einem ersten Rundgang durch die Ausstellung zurück an die Papiertüten, die jede/r durch einen anderen Brotjob mit Einkäufen füllt, fällt auf, dass sich das diesjährige Konzept der Manifesta trotz aller Offenheit auf ein erstaunlich traditionelles Künstlerverständnis beruft: dass nämlich erfolgreiche Künstler in Werkstätten gehen und dort Kunst produzieren lassen, die die Bevölkerung anschließend bewundern darf.

Besonders deutlich wird das in den dokumentierenden Videos sogenannter Art Detec­tives, also von Schülern und Schülerinnen, die die Kollaborationen mit Fragen und Videokamera begleiteten.

Bei einigen Arbeiten wünscht man sich in Zeiten sich radikal verändernder Arbeitswelten mehr Auseinandersetzung mit dem Brotberuf der Gastgebenden – wie auch mit den Arbeitsbedingungen der Kunstschaffenden: Inwiefern bringt Berufung auch Geld? Oder: Wie weit geht man für Geld, ohne dass man sich mit der Arbeit selbst identifizieren kann?

Entsprechend für Unmut sorgte bereits im Vorfeld der Eröffnung die Beurlaubung der Kunsthallen-Belegschaft, einer der Partnerinstitutionen der Manifesta. Viele Künstler verdienen dort als Techniker oder Aufsichten ihr Geld, um in einer der teuersten Städte der Welt zu überleben. Für die Zeit der Manifesta werden sie durch unbezahlte Freiwillige ersetzt, denen das Manifesta-Team ein „detailliertes Arbeitszeugnis und interessante Kontakte“ bietet. Was sagt das über die Arbeitsbedingungen für die heute Zwanzigjährigen aus?

Noch bis: 18. September. Infos unter www.manifesta.org