Grenzidyll der frohen Einsamkeit

Schaalsee Im Biosphärenreservat an der Grenze zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern lässt sich trefflich radeln, paddeln, Fisch essen und mit der Seele baumeln

Idyllisch: Das Brückenhaus auf der Stintenburg-Insel im Schaalsee. Blick aus dem Biergarten auf den See (unten) Fotos: Jens Büttner, Klaus Gabbert/dpa

von Sven-Michael Veit

Lautlos schwebt er über dem Wasser mit seinen breiten braunen Schwingen. Ein paar Kurven nach rechts und links, dann landet er auf einer Weide am Ufer. Er hat Zeit, er kann warten. Geduldig und konzentriert überblickt der Fischadler sein Revier, über den Schilfgürtel hinweg bis zur schwimmenden Insel in der Mitte des Schaalsees, die so flach ist, dass man durch den spärlichen Bewuchs hindurchschauen kann bis hinüber nach Schaliß.

Nur noch zwei Häuser stehen dort direkt am See, zwei von Hamburgern, das verraten Kennzeichen an den beiden SUVs, restaurierte Bauernkaten. Der Rad- und Wanderweg führt zwischen alten Obstbäumen auf einem Moränenhügel entlang, es ist die ehemalige Dorfstraße, jetzt überwuchert zumeist, hier und da sind Mauerreste zu sehen und zwei Hausfundamente. Viel ist nicht mehr übrig von dem jahrhundertealten Bauerndörfchen.

Zu DDR-Zeiten war Schaliß am Südostufer des Schaalsees entvölkert, nur ein General der Grenztruppen hatte sich hier eine der Katen als Datsche unter den Nagel gerissen. Von Nordost nach Südwest durch den See verlief die deutsch-deutsche Grenze, und das machte den mit 72 Metern tiefsten See Norddeutschlands zu einem Naturidyll. Jahrzehntelang profitierten Flora und Fauna von der Abgeschiedenheit und konnten sich nahezu unberührt entwickeln. Heute bildet der 24 Quadratkilometer große See, auf dem Motorboote verboten sind, auf der Grenze zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam mit elf weiteren Gewässern das Unesco-Biosphärenreservat Schaalsee.

150 Kilometer ausgeschilderte Rad- und Wanderwege durchziehen die hügelige Landschaft aus Feuchtwiesen, Feldern und Wäldern. An zahlreichen Aussichtspunkten können Ausflügler Tiere beobachten. In der Seenlandschaft brüten Kraniche und Milane, See- und Fischadler, und im Herbst rasten dort Zigtausende Zugvögel.

Anreise: Von Hamburg mit der Bahn zum HVV-Tarif nach Büchen. Tipp: Im Regionalexpress RE1 nach Rostock via Büchen ist das Fahrradabteil an Sommerwochenenden meist gnadenlos überfüllt. Stressfreier ist es, Sa und So im Zwei-Stunden-Takt die S1 nach Aumühle zu nehmen und dort am selben Bahnsteig in die Regionalbahn RB11 nach Büchen umzusteigen.

Mit dem Rad (30 Kilometer): Von Büchen in nordöstlicher Richtung über Dorf, Bröthen und Fortkrug auf wenig befahrener Straße durch Felder und Wälder nach Langenlehsten (11 km). Am Zollhof rechts abbiegen auf den Radweg nach Valluhn. Hinter der A24 scharfe Rechtskurve in den Wald, danach unbefestigter Feldweg (11 km). Hinter Valluhn links abbiegen auf Plattenweg nach Schadeland, dort schräg links gegenüber in den Feldweg nach Zarrentin einbiegen. Durch den Ort und am stillgelegten Bahnhof vorbei runter zum See (8 km).

Rückweg: Auf gut ausgeschilderten Radwegen von Zarrentin durch hügelige Gegend über Groß-Zecher bis nach Seedorf mit Schloss am Schaalsee (15 km). Alternativ die längere Route am Ostufer über Lassahn und Dutzow nach Seedorf (ca. 50 km). Von dort über Hollenbek oder Neu-Sterley und Lehmrade nach Mölln (ca. 18 km). Dort RB nach Lüneburg, in Büchen umsteigen nach Aumühle und wieder in die S21.

Gegenüber von Schaliß liegt Zarrentin, der mit rund 5.000 Einwohnern größte Ort in der Region. Sehenswert ist das 750 Jahre alte ehemalige Zisterzienser-Nonnenkloster, das detailgetreu saniert wurde. Die benachbarte Kirche wurde erstmals Ende des 12. Jahrhunderts erwähnt und 1251 zur Klosterkirche ernannt. Im 15. Jahrhundert war das romanische Gebäude so baufällig, dass es abgerissen werden musste. Im gotischen Neubau steht die älteste evangelische Kanzel Norddeutschlands. Ein Pastor des kleinen Ortes kaufte die Kanzel 1699 gebraucht in Lübeck, wo sie bereits rund 150 Jahre in der Marienkirche gestanden hatte.

Im Paalhuus, dem Informationszentrum des Biosphärenreservats in Zarrentin, können Besucher mehr über den Wandel der Landschaft von der Eiszeit bis heute erfahren. Der Eintritt ist frei. Außerdem starten vom Paalhuus mehrere ausgeschilderte Wanderwege.

Am kurzen, sandigen Strandweg neben dem Freibad bietet der Seepavillon samt schattigem Biergarten einfache, aber schmackhafte Küche und einen traumhaften Blick über den See. Vom Bootsverleih nebenan lässt sich der 14 Kilometer lange, kaum einen Kilometer breite und recht verwinkelte See mit Kanus, Kajaks, Ruder- oder Tretbooten erkunden. Zumeist ist das aber auf das Westufer beschränkt, denn das östliche mit seinen vielen kleinen Buchten und Schilfinseln ist zum Schutz von Brutvögeln größtenteils selbst für Kanus gesperrt. Zur Orientierung: Von Zarrentin bis Groß-Zecher samt Gutshof mit Café in der Nähe des Anlegers und zurück sollte man im Kanu fünf Stunden rechnen.

Die größte Insel im Schaalsee ist Kampenwerder, mit dem Rad gut über das Dörfchen Lassahn am Ostufer zu erreichen. Der Weg führt über die benachbarte kleine Stintenburg-Insel mit dem historischen Brückenhaus. 1767 hielt sich der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock auf diesem lieblichen Fleckchen Erde auf und widmete ihm begeistert eine schwärmerische Ode: „Insel der froheren Einsamkeit, geliebte Gespielin des Wiederhalls und des Sees, welcher itzt breit, dann, versteckt wie ein Strom, rauscht an des Walds Hügeln umher.“

Beide Inseln samt dem Herrenhaus auf der Stintenburg-Insel gehören der Familie von Bernstorff. Diese Stintenburg wurde 1810 bis 1817 auf den Fundamenten eines Vorgängerbaus der Grafen von Schwerin aus dem 14. Jahrhundert errichtet. Von den Nazis wurden die Bernstorffs wegen staatsfeindlicher Gesinnung enteignet; der letzte Besitzer, Albrecht Graf von Bernstorff, wurde Ende April 1945 von der Gestapo in Berlin erschossen. Seit 1993 sind Gut und Herrenhaus wieder im Besitz der Familie.

Das renovierte Brückenhaus beherbergt heute ein Restaurant mit idyllischem Biergarten und einer Fischräucherei. Und eines hat sich seit Klopstocks Zeiten nicht geändert: Eine Insel der frohen Einsamkeit ist das Eiland noch immer.