Angriffe auf Flüchtlinge: Fremdenhass ganz unpolitisch

Der Lingener Heckenschütze engagiert sich seit Jahren für die NPD, seine Opfer sind Flüchtlinge: Ein politisches Motiv wollen Ermittler nicht unterstellen

Auch ein Luftgewehr ist eine Waffe. Foto: Ingo Wagner (dpa)

BREMEN taz | Moritz H. will’s nicht gewesen sein. Der Lingener ist dringend verdächtig, am Sonntag von seiner Wohnung aus BewohnerInnen der benachbarten Flüchtlingsunterkunft beschossen zu haben, mit einem Luftgewehr. Verletzt wurden ein Mädchen im Vorschulalter und ein 18-Jähriger. „Ich gehe nicht davon aus, dass er da rauskommt“, sagt Alexander Retemeyer, Sprecher der Osnabrücker Staatsanwaltschaft. Die Waffe, mit der geschossen wurde, gehört Moritz H., den Tatort, die Wohnung bei der Kläranlage, hat er gemietet, er ist dort gemeldet. Bei der Festnahme gleich nach den Attacken befand sich Moritz H. alleine dort.

Haftgründe, also Flucht- oder Verdunklungsgefahr hat die Staatsanwaltschaft nicht gesehen. Sie ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung, und auf die steht Freiheitsstrafe: bis zu zehn Jahre, und mindestens drei Monate, aber das nur für „minder schwere Fälle“, was bei einer politischen Straftat aus generalpräventiven Gründen ausscheiden müsste. Denn die greift ja direkt die Grundlagen des Gemeinwesens und die Achtung der Menschenrechte an.

Bloß, sich festlegen, ob die Tat politisch motiviert war, das wollen die Ermittler bislang nicht: Es sei zwar offensichtlich, dass Moritz H. „rechtsnationale Neigungen“ habe. Mehr könne man aber noch nicht sagen, „dafür brauchen wir noch etwas Zeit“, sagt Retemeyer. Man kennt den jungen Herrn ja erst ein paar Stunden.

Neigungen – das klingt einigermaßen verharmlosend: Seit mindestens drei Jahren ist Moritz H. in dieser Richtung aktiv: Mindestens solange ist H. zuverlässig dabei, wenn die in Lingen und Umgebung schwache NPD auf sich aufmerksam machen will. Er hat das auch nie verborgen: Sein kaum genutztes Twitterprofilbild zeigt ihn, wie er bei Haselünne ein NPD-Plakat für die Bundestagswahl 2013 mit Kabelbinder an einem Laternenmast fixiert. Auf Facebook hatte er sich als stellvertretenden Vorsitzenden des NPD-Unterbezirks Bentheim-Emsland bezeichnet.

Kriminalität gilt laut Bundesinnenministerium als politisch motiviert, wenn sich die Taten direkt gegen den Staat richten, wie Friedens-, Hoch-, Landesverrat und Gefährdung der Demokratie, des Rechtsstaats sowie Propagandadelikte.

Als politisch gilt Allgemeinkriminalität nach Angaben des Bundesministeriums des Inneren (BMI), wenn „Anhaltspunkte (!) [...] in der Einstellung des Täters“ darauf hinweisen, dass er Menschen beispielsweise wegen deren Nationalität, Volkszugehörigkeit, Hautfarbe, Herkunft und äußerer Erscheinung, ihrer Lebensweise oder ihren Überzeugungen angreift.

Zu dieser Hasskriminalität zählt das BMI auch Taten, die in diesen Zusammenhängen gegen „eine Institution oder Sache verübt werden“.

Dessen Vorsitzender, der zuletzt 2014 wegen Volksverhetzung verurteilte Tobias Richter, bestreitet auf Nachfrage, Moritz H. zu kennen. „Der steht in keinem Zusammenhang zu uns“, behauptet er, „und der war auch nie Mitglied.“ Arg für den engagierten Jungnationalisten: Denn nicht nur hat H. bei Demos zur Landtagswahl 2013 die Nähe zur lokalen Führerriege gesucht. Er hat auch richtig für sie geackert:

Richter war Direktkandidat im Emsland für den Bundestag. Nur fünf seiner Unterstützer sind übers Portal Indymedia geoutet worden, fast alle aus Richters Heimatort Haselünne. Aus Lingen war beim Plakatieren nur einer dabei: der Moritz H. Und Flyer hat er auch verteilt. „Das machen viele“, sagt Richter, „das Material gibt es bei uns umsonst.“ Und wer auf einer Demo neben ihm stehe, das wisse er nicht, „das heißt doch noch lange nicht, dass ich den kenne“.

Die Staatsanwaltschaft sieht das ähnlich wie Richter: „Unser Eindruck ist, er wollte gerne dabei sein, aber die anderen wollten ihn nicht“, sagt Retemeyer, der auch andeutet, dass der junge Mann nicht der Hellste sei: Moritz H. wird diesen Sommer 22 Jahre alt, reifeverzögert könnte er also gerade noch unters Jugendstrafrecht fallen.

Allerdings, dass der Täter in einer politischen Gruppierung als Aktivist anerkannt wird, ist nicht Bedingung dafür, von einer politischen Motivation seiner Tat auszugehen. Laut Bundesinnenministerium reichen dafür „Anhaltspunkte“ in den „gesamten Umständen der Tat und/oder der Einstellung des Täters“, die nahelegen, das Ziel des Angriffs in der „Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Herkunft“ der Opfer zu sehen.

Solche Anhaltspunkte gibt es. Und man kann sie hier nicht übersehen: Die Vita des Verdächtigen passt dafür zu gut zum Profil der Opfer. Die haben nur gemein, als Fremde in Lingen zu wohnen – geflohen vor Gewalt in ihrer Heimat. Woran sollte der wahllose Beschuss von Kindern und Jugendlichen, die in einer Flüchtlingsunterkunft leben, sonst anknüpfen? Fremdenhass aber ist ein politisches Motiv.

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