Stadtgespräch
: Tage nach dem Putsch

Die einen fürchten um Brasiliens Demokratie, die anderen sind einfach froh, dass Dilma Rousseff weg ist

Andreas Behn aus Rio de Janeiro

Der neue Fraktionsführer der Regierung im Parlament, André Moura, muss sich in drei Korruptionsfällen vor dem Obersten Gericht verantworten.“ Die ernste Stimme in den Morgennachrichten schläfert ein. „Wollt ihr mehr!?“, fragt sie plötzlich und weckt damit zumindest einen Teil der Hörerschaft: „Wegen Geldwäsche ist Moura bereits einmal rechtskräftig verurteilt worden, und ein weiteres Verfahren bezichtigt ihn der Beihilfe zum Mord.“ Bevor die Sprecherin wieder in den monotonen Nachrichtenstil fällt, atmet sie tief aus: „Was wird uns Brasilianern alles zugemutet …“

Schwere Zeiten in Brasilien. Genau eine Woche zuvor suspendierte der Senat die Präsidentin Dilma Rousseff wegen Misswirtschaft und – Korrup­tionsvorwürfen. Ihr Vize Michel Temer übernahm das Ruder und wechselte prompt den gesamten Staatsapparat aus. Wohlwollend kommentiert die Presse die verkündete Sparpolitik, endlich gehe es wieder bergauf.

Doch von Aufbruchstimmung keine Spur. Dass die Temer-Regierung im Parlament von dem korrupten Hinterbänkler Moura repräsentiert wird, ist nur die Spitze des Eisbergs. Derzeit werden die Parlamentssitzungen von einem Regierungsabgeordneten geleitet, von dem bisher nur bekannt ist, dass er zwölf Mal in einem Jahr in einer Lotterie gewonnen hat. Gegen 7 der 23 neuen Minister ermittelt das Oberste Gericht wegen Verwicklung in den Skandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras. Viele, die in der Amtsenthebung der gemäßigt linken Rousseff einen Ausweg aus der Krise sahen, schütteln jetzt schon den Kopf: Nicht eine Frau und nicht ein einziger Afrobrasilianer sitzt im neuen Kabinett. Drei Viertel der Bevölkerung sind in dieser Regierung also nicht vertreten.

Weniger überrascht sind diejenigen, welche die Kampagne gegen Rousseff und ihre Arbeiterpartei für ein Staatsstreich halten. Als erstes löste Temer die Ministerien für Menschenrechte, für Frauen und für ethnische Gleichstellung auf. Die Abschaffung des Kulturministeriums löste einen Sturm der Entrüstung aus. „Ignorant und böswillig“ kommentiert Wagner Moura, Hauptdarsteller des Goldener-Bär-Films „Tropa de Elite“ von 2007. Dass ein Hardliner, der für brutale Polizeieinsätze gegen demonstrierende Studenten bekannt ist, nun Justizminister ist, bedeutet für den Schauspieler, „dass das Schlimmste noch vor uns liegt“.

Nicht nur er spricht von Säuberungen und einer „illegalen Regierung“. Der Gewerkschaftsverband CUT lehnte ein Gespräch mit der Regierung ab. Ein Dialog, in dem es um Kappung von Arbeitnehmerrechten, Rentenkürzung und „Straffung“ der Sozialprogramme geht, sei inakzeptabel. Temer, der zwar beste Kontakte im Politikkarussell hat, in Umfragen aber nur auf 2 Prozent Unterstützung kommt, hat es nicht leicht.

Andere wollen Temer eine Schonfrist gewähren. Sie sind froh, dass die Arbeiterpartei nach 13 Regierungsjahren von der Macht verdrängt wurde. Ein plötzliches Ende der Korruption, das wussten alle, wird es nicht geben. Sparen und eine Sanierung des Haushalts halten die meisten für richtig. Doch wo soll gestrichen werden? Immer wieder ist zu hören, dass die Sozialprogramme doch nichts anderes als Wahlkampfhilfe für linke Regierungen seien. Andere plädieren für eine Steuerreform: Die reichen Brasilianer im oberen Zehntel der Einkommens­pyramide zahlen gerade mal 6 Prozent Einkommensteuer. In Mexiko zahlen die Reichen fast doppelt so viel, in Deutschland knapp 30 Prozent.

Wenig Beachtung findet angesichts der Sorgen im Land die Reaktion des Auslands. Mehrere links regierte Staaten des Kontinents riefen ihre Botschafter zurück, die Interamerikanische Menschenrechtskommission zeigte sich besorgt über den Rechtsstaat in Brasilien. Der neue Außenminister und frühere Präsidentschaftskandidat José Serra reagiert verschnupft. Die Äußerungen „zeugen von völliger Unkenntnis der Lage in Brasilien“, erklärte Serra. Er strebt einen Schulterschluss mit dem Nachbarn Argentinien an, das seit einigen Monaten ebenfalls rechts regiert wird.