Muss es denn immer Krimi sein?

TV In der ARD startet heute die Reihe „Emma nach Mitternacht“ (20.15 Uhr) mit Katja Riemann. Noch wird das große Potenzial der Hauptfigur nicht genutzt

Auge in Auge mit dem Geiselnehmer: Emma (Katja Riemann) Foto: ARD

von Sven Sakowitz

In ihrer mehr als 30-jährigen Schauspielkarriere hat Katja Riemann schon die unterschiedlichsten Charaktere gespielt, aber die SWR-Produktion „Emma nach Mitternacht“ bietet sogar ihr etwas Neues: „Für mich ist das eine große Sache, weil ich noch nie die Hauptrolle in einer TV-Reihe gespielt habe“, sagt sie. „Es ist eine spannende Aufgabe, eine Figur über eine längere Zeit entdecken und erfinden zu können. Sie so interessant zu gestalten, dass die Zuschauer sie wiedersehen wollen.“

Zwei 90-Minüter mit ihr als Emma wurden bereits gedreht: Die erste Episode mit dem Titel „Der Wolf und die sieben Geiseln“ läuft heute um 20.15 Uhr, die zweite am 8. Juni. Wenn die Quoten gut sind, soll es mit ein bis zwei Filmen pro Jahr weitergehen. Der SWR kündigt „Emma nach Mitternacht“ als Nachfolger der erfolgreichen Reihe „Bloch“ an, in welcher der 2013 verstorbene Dieter Pfaff einen Psychiater spielte.

Diese Emma Mayer ist eine weit gereiste, unkonventionelle Psychologin, die nach einem langen Aufenthalt in Marrakesch bei einem Mannheimer Radiosender anheuert und dort im Nachtprogramm mit Anrufern über deren Probleme spricht. Gleich in ihrer ersten Sendung bekommt sie es mit einem Mann (Ben Becker) zu tun, der in einer Tankstelle sieben Geiseln gefangen hält. Was er damit erreichen will, bleibt zunächst unklar. Emma bricht das Telefonat ab, fährt zur Tankstelle und versucht, Auge in Auge, den Täter zur Aufgabe zu bringen. Sie schlägt ihm ein riskantes Spiel vor: Der Geiselnehmer stellt Emma Fragen zu seinem Leben, für jede richtige Antwort lässt er eine Geisel frei. Liegt sie zu oft falsch, wird sie erschossen.

Emma ist eine überaus liebenswerte, komplexe Figur geworden. Sie wirkt wie eine Frau, die man gern zur besten Freundin hätte und mit der man bei Unmengen von Weißwein über die Achterbahnfahrten des Lebens philosophiert. Sie ist offen, aber nicht oberflächlich; selbstbewusst, aber nicht arrogant; ein bisschen vorlaut, aber nicht unverschämt. Und gerade wenn man denkt, dass diese Emma vielleicht doch ein bisschen zu glatt angelegt ist, werden im Laufe der Geschichte überraschende Schattenseiten und Geheimnisse angedeutet, die am Glanz dieser Frau zweifeln lassen.

Ein weiterer Pluspunkt: Hier ist endlich mal wieder eine TV-Figur, die nicht bei der Polizei arbeitet. Obwohl das Radio-Setting etwas angestaubt wirkt und die Bildsprache an die frühen 1990er Jahre erinnert, ermöglicht der Job der Protagonistin den Autoren der Reihe theoretisch vielfältige erzählerische Möglichkeiten.

Umso enttäuschender, dass die Protagonistin im ersten Film in einen herkömmlichen Krimi geschickt und so Potenzial verschenkt wird. Möglicherweise befürchtet man bei den Sendern, Zuschauer zu verprellen, wenn man ihnen etwas anderes als einen Krimi anbietet.

Im zweiten Film („Frau Hölle“) im Juni wird es ein bisschen besser, weil die Story dann mit deutlich weniger konventionellen Krimi-Anleihen auskommt. Da geht es um eine Ingenieurin (Corinna Harfouch), die für den Einsturz eines Schwimmhallendaches verantwortlich gemacht wird. Zwölf Menschen, vor allem Kinder und Jugendliche, kamen dabei ums Leben. Kurz vor dem Gerichtsverfahren ist die Frau selbstmordgefährdet, Emma versucht sie davon zu überzeugen, dass sie nicht die gesamte Schuld auf sich nehmen muss.

„Ich wünsche mir, dass wir uns im Falle einer Fortsetzung komplett vom Kriminalistischen lösen“, sagt auch Katja Riemann. „Wir sollten uns auf Emmas Charakter, ihre Vita und therapeutischen Fähigkeiten fokussieren und verschiedene Genres ausprobieren.“ Es gibt hier die Chance, eine famose Reihe zu entwickeln – vielleicht wird sie ja genutzt.