Logistikunternehmen immer schneller: Völlig ausgeliefert

Lieferung am selben Tag. Innerhalb von drei Stunden. In zwei Stunden. In 90 Minuten. Wer bietet weniger? Über das neue Zeitalter der Logistik.

Ein Paketbote übergibt einer Frau an ihrer Haustür ein Päckchen

Schnelle Lieferung: schön für die KundIn, schlecht für die Umwelt Foto: Imago/Westend61

Und das ausgerechnet jetzt. Nichts geht mehr auf dem Kurfürstendamm in Berlin. „Die Stadt ist proppenvoll“, sagt die Sprecherin im Verkehrsfunk und auf dem Fahrersitz des weißen Transporters, der sich gerade zwischen einem Bus und einen dauerhupenden Sportwagen quetscht, nimmt Daniel Baumann einen Schluck aus seiner Limonadenflasche. „Stress ist nur, wenn man sich Stress macht“, sagt er.

Und das, obwohl der Kurier jetzt schon spät dran ist. Vor zehn Minuten hätte Baumann die Sendung übergeben müssen, an den Bewohner eines Hauses in Grunewald, ganz im Westen der Stadt. Noch steht er aber mitten auf dem Ku’damm, 15 Kilometer entfernt.

Man könnte Daniel Baumann – karierte Jacke, weißer Transporter mit dem Schriftzug „D. Baumann“ auf der Fahrerseite – mit einem normalen Kurier verwechseln. Einem, der Pakete bei Adresse A abholt und irgendwann später bei Adresse B abliefert. Aber Baumann ist mehr. Er ist Teil eines neues Zeitalters der Logistik. Eines Zeitalters, in dem nach der Bestellung nicht das Warten anfängt und die Frage, wie lang eigentlich drei Werktage sind, und am Ende doch die Benachrichtigungskarte im Briefkasten liegt. Ein Zeitalter, das sich selbst übertreffen will. Lieferung am selben Tag. Innerhalb von drei Stunden. In zwei Stunden. In 90 Minuten. Wer bietet weniger?

Dabei sieht anderthalb Stunden vorher alles noch ganz entspannt aus. Baumann ist gerade aus Mitte gekommen, er hatte in einem Geschäft in der Friedrichstraße zwei große Tüten abgeholt. Kaffeekapseln. Das Ziel: eine Adresse in Moabit, Hausnummer 140. Locker zu schaffen in den drei Stunden, die er für die Lieferung hat. Er lenkt seinen Transporter durch eine enge Kurve, fährt vorbei an den Hausnummern 134, 136 und 138, merkwürdig, eigentlich ist hier die bewohnte Gegend zu Ende, ein Blick aufs Smartphone, doch die 140 stimmt. Das Innenministerium? Na gut, dann eben das Innenministerium.

3 Stunden. 180 Minuten

Das Smartphone ist – neben dem Transporter – Baumanns wichtigstes Arbeitsgerät. Über eine App seines Auftraggebers, ein Start-up namens Tiramizoo, bekommt der Kurier die Aufträge, ein Algorithmus sorgt dafür, dass Produkt, Transportmöglichkeit und Route zusammenpassen. Ein Notebook vom Elektronikmarkt zum Kunden am Stadtrand, einen Großbildfernseher in das Loft in Mitte oder auch mal eine Gartenbank aus dem Baumarkt in den Familienhaushalt. Seine Kunden, sagt Baumann, kämen aus allen Ecken der Gesellschaft. Was sie eint: Sie haben entweder nicht die Zeit oder nicht das passende Fahrzeug, um die Ware zu transportieren. Und sind bereit, dafür etwas mehr, meist sind es um die 10 Euro, zu zahlen.

Nun eben Kaffeekapseln ins Innenministerium. Baumann stoppt den Transporter vor dem Eingang, springt heraus und zieht unter den misstrauischen Blicken des bewaffneten Wachpersonals die beiden Tüten aus dem Laderaum. Vorstellen an der Sicherheitsschleuse, ein Mitarbeiter ruft den Empfänger der Sendung, warten, warten, bis ein sichtlich erfreuter Herr – „Das ging aber schnell“ – aus der Drehschleuse tritt und die beiden Tüten in Empfang nimmt.

Milo wurde als Milena geboren. Er wollte ein Mann sein und wurde es, auch ohne Hormone und Operation. Ein Trans*mann erzählt von seinem Weg zu sich selbst – in der taz.am wochenende vom 14./15./16. Mai. Außerdem: Österreich vor der Stichwahl des Bundespräsidenten: Kann die Regierungspartei SPÖ den Erfolg der rechten FPÖ noch verhindern? Ein Lagebericht. Und: Versandhändler liefern sich einen harten Wettstreit. Was sie tun, damit das Paket schnell zum Kunden kommt. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Ja, das ging schnell. Dabei sind die drei Stunden erst der Anfang. Amazon hat diese Woche ein Pilotprojekt gestartet und verspricht dabei die Lieferung innerhalb einer Stunde. Das Start-up Locafox, das stationäre Händler ins Netz bringt, startet Ende Juni einen 90-Minuten-Lieferservice – als Konkurrenz zu Amazon. „Für den stationären Handel sind kurze Lieferzeiten eine Möglichkeit, sich gegenüber dem Onlinehandel zu profilieren“, sagt Christiane Auffermann vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik. Und der Kunde, der gewöhne sich an die Geschwindigkeit – und will mehr.

Mit den kurzen Lieferzeiten wird noch etwas anderes interessant: das Versenden von Waren, die bislang fast ausschließlich stationär eingekauft werden. Weil sie sofort benötigt werden etwa oder weil sie schnell verderblich sind. Windeln. Rotwein. Erdbeeren. Noch ist der Versand von Lebensmitteln ein Nischenmarkt. Im Jahr 2014 lag der Anteil der online bestellten Waren im Segment Lebensmittel und Drogerie bei gerade mal 1,2 Prozent, gemessen am Umsatz.

Baumanns nächstes Ziel: eine Abholung bei einem Elektronikhändler in der Budapester Straße. Der Empfänger: ein Büro, ganze 800 Meter entfernt. Könnte der Kunde eigentlich auch laufen. „Wir sind abhängig von der Faulheit der anderen“, sagt Baumann, als er wieder ins Auto steigt. Dafür fährt er täglich 250 Kilometer durch die Stadt, bringt ein Dutzend Pakete vom Sender zum Empfänger. Mindestens 80 Cent bekommt er pro Kilometer. Darunter, sagt er, lohne es sich nicht. Denn angestellt ist Baumann nicht. Und Steuern, Versicherung, Benzin – da kommt doch einiges zusammen. Seine beste Zeit? „Wenn DHL streikt.“ Und die schlechteste? „Ferien, wenige Aufträge, viel Leerlauf.“

10.800 Sekunden.

Vom Leerlauf auf dem Ku’damm hat Baumann mittlerweile genug. Denn gehäufte Verspätungen beim Zustellen bedeuten für den Fahrer kritische Nachfragen vom Auftraggeber. Drei Stunden. 180 Minuten. 10.800 Sekunden. Mitunter ist das nicht viel Zeit.

„Wir merken, dass die Nachfrage steigt“, sagt Eva Simmelbauer, Sprecherin von Media-Saturn. Das Unternehmen bietet seinen Kunden seit Ende vergangenen Jahres eine Lieferzeit von drei Stunden an. Das Potenzial ist groß: Nach Berechnungen des Branchenverbands bevh wurde im vergangenen Jahr fast jeder achte Euro online ausgegeben. Insgesamt kauften Verbraucher 2015 Waren im Wert von 52,37 Milliarden Euro im Online- oder Versandhandel. Für das laufende Jahr geht der Verband von 54,4 Milliarden aus. Haufenweise Pakete, die zu ihren Käufern müssen.

Nur – je individueller die Zustellung, desto schlechter die Ökobilanz. Studien, wie zuletzt etwa vom Clean Tech Institut, ergeben immer wieder: Der größte Posten im ökologischen Fußabdruck eines Einkaufs ist der Weg. Mit dem Auto in die Innenstadt oder zum Einkaufzentrum auf die grüne Wiese? Schlecht. Mit dem Fahrrad? Gut. Waren als Sammlung liefern lassen? Immer noch besser als selbst mit dem Auto zu fahren. Einzellieferungen in einem nicht mal annähernd gefüllten Transporter? Schlecht.

Elektroautos könnten das Problem zumindest zum Teil lösen. Baumann hatte auch überlegt, eines zu kaufen. Aber bei Reichweiten von um die 200 Kilometer täglich? Und dann eine Tour verschieben, weil der Wagen an die Steckdose muss? Er schüttelt den Kopf.

Endlich Grunewald. Königsallee, Erdener Straße, Trabener Straße, die Namen werden profaner, dafür die Häuser exklusiver. Weiße Villen zwischen alten Bäumen, noch eine Kurve, Neubaugebiet, hier muss es sein, verdammt, wo ist denn die Hausnummer? Da. Baumann bremst, springt aus dem Wagen, eine halbe Stunde zu spät. Der Kunde ist trotzdem glücklich, unterschreibt schnell mit dem Finger auf Baumanns Smartphone. Für die Kunden, sagt Baumann, für die seien auch dreieinhalb Stunden immer noch sensationell schnell. Noch.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.