Wenn die Zehen aus der Reihe tanzen

FEHLSTELLUNG Der schiefe Zeh, auch Hallux valgus genannt, gehört zu den häufigsten Erkrankungen des Fußes. Etwa 90 Prozent der rund 10 Millionen Betroffenen in Deutschland sind Frauen

Moulage: Nachbildung eines erkrankten Fußes Foto: Elisabeth Rahe/dpa

Von Darijana Hahn

Zuerst sieht es in offenen Schuhen nicht so schön aus, wenn der große Zeh sich schräg zu den anderen Zehen neigt und sich der Großzehballen nach außen drückt. Doch das, was auch der Volksmund mit dem medizinischen Fachausdruck „Hallux valgus“ benennt, ist mehr als ein kosmetisches Problem. Wenn der große Zeh mit seiner Schiefstellung erst mal aus der Reihe getanzt ist, bleibt das auch für die weiteren Zehen nicht folgenlos.

„Durch den Zug der Sehne dreht sich der Großzeh bei einem Hallux valgus aus dem Großzehengrundgelenk heraus nach innen, in Richtung der anderen Zehen“, erklärt der Fuß- und Sprunggelenk-Spezialist Martin Rinio von der Gelenk-Klinik im badischen Gundelfingen. Durch diesen „einwärts gedrehten Großzeh“ würden die benachbarten Zehen zusammengedrückt und würden in Folge des Hallux valgus zu Hammer- und Krallenzehen, die zusätzlich den Abrollvorgang des Fußes übernehmen müssen, was eigentlich Aufgabe des großen Zehs war.

Diese Überlastung der kleinen Zehen führe wiederum zu einem Schmerz im Mittelfuß. Ebenso durch den Hallux valgus in Mitleidenschaft gezogen wird das für die Abrollbewegung des Fußes so wichtige Großzehengrundgelenk, das durch die Drehung des großen Zehs nach außen gedrückt wird und so beständig am Schuh reibt. Dabei schwillt die Gelenkkapsel an und entzündet sich, worauf die Kapsel nach und nach immer dünner und schwächer wird. Diese Schwäche lässt den Hallux valgus schließlich immer stärker werden.

Um diesen fortschreitenden Teufelskreis zu durchbrechen, raten Ärzte zu frühzeitigen Operationen. Je nach Schweregrad der Erkrankung wird die passende Methode aus den über 150 Operationsvarianten gewählt. „Wir geben nach Abwägung aller Gegebenheiten stets der minimalinvasivsten Methode mit der geringsten Verwendung von Implantatmaterial den Vorzug“, sagt der Spezialist Rinio. Das übergeordnete Ziel der Operation sei es, den Großzehenknochen wieder nach vorne zeigen zu lassen, damit Sehnenzug und Großzehe wieder übereinstimmen.

Der Arzt weist darauf hin, dass bei der Operation nicht nur die Knochenumstellung, die Osteotomie, wichtig ist. Auch die Weichteile (Gelenkkapseln, Muskeln und Sehnen) würden bei modernen minimalinvasisven Hallux-valgus-Operationen immer auf schonende Weise ­mitoperiert. Denn, sagt Rinio, „für eine nachhaltige Verbesserung des Halux valgus durch Operation müssen auch Muskel- und Sehnenzüge wieder in ihr natürliches, stabiles Gleichgewicht gebracht werden“.

Für die Operation bedeutet dies, dass zuerst die sehnenführenden Sesambeinchen wieder in ihre ursprüngliche Stellung rechts und links vom Großzehenknochen gebracht werden. Im zweiten Schritt werden die Sehnen entlang des Zehenstrahls entweder gekürzt oder verlängert. Dann wird in einem dritten Schritt das Kapselgewebe des Großzehengrundgelenkes gerafft, wodurch der Großzehenknochen in die gewünschte Richtung ausgerichtet wird. Und last but not least wird der Knochen umgestellt. Dabei wird der Knochen durchtrennt und in einer neuen Position eingeheilt.

Auch wenn die Ärzte die Heilungserfolge als sehr gut beurteilen, empfehlen sie, es am besten gar nicht zu einem Hallux valgus kommen zu lassen. Betroffen sind nicht nur Frauen, die zu hohes und zu enges Schuhwerk tragen. Häufig bedingt eine angeborene Bindegewebsschwäche die Neigung zum Hallux valgus. Denn von dieser Schwäche sind, wie Rinio erklärt, auch die Bänder betroffen, die am Fuß das Längs- und Quergewölbe stabilisieren.

Die normale Großzehenstellung hat einen Winkel von bis zu zehn Grad, eine milde Hallux-valgus-Fehlstellung liegt zwischen 16 bis 20 Grad, und die schwere Hallux valgus Fehlstellung weicht über 40 Grad ab. Bei schweren Ballenzeh-Fehlstellungen nehmen Neigung, Innendrehung der Zehe und Festigkeit des Hallux valgus stetig zu.

Hohe Schuhe befördern deswegen den Hallux valgus, weil ein verstärkter Druck im Vorfußbereich auftritt, was zu einem Spreizfuß führen kann, der den Hallux valgus begünstigt. Orthopäden raten zu Schuhen mit viel Freiraum für die Zehen, sowie immer wieder barfuß zu laufen.

Orthopädische Hilfsmittel wie Zehenpolster oder Hallux-Schienen mögen den Schmerz etwas lindern, Abhilfe schafft nur eine Operation.

OP-Varianten: Die über 150 Operationsarten lassen sich zum einen dadurch unterscheiden, ob Metallimplantate benutzt werden wie Titanschrauben bei der Chevio-Osteotomie, oder ganz ohne Schrauben und Metallimplantate gearbeitet wird wie bei der „Mini-Invasiven“ Hallux-OP.

Ohne diese Stabilisierung, entsteht ein Spreizfuß, bei dem das vordere Quergewölbe des Fußes einsinkt und die Zehen nicht mehr in ihrer natürlichen Ausbreitungsrichtung nach vorne zeigen können – was dann fast unweigerlich zum Hallux valgus führt.

„Die beste Prophylaxe sind gut trainierte Füße“, sagt Markus Walter, der als Chefarzt im Fachzentrum für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie in der Schön-Klinik München-Harlaching arbeitet und zugleich der erste Vorsitzende der Gesellschaft für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie e.V. (GFFC) ist. Diese hat sich vor 20 Jahren gegründet. Bis heute hat sich in Deutschland neben dem Handchirurgen keine weitere Subspezialisierung von Orthopäden und Unfallchirurgen durchsetzen können.

Verschiedene Fachgesellschaften, wie auch die GFFC, haben spezielle Weiterbildungscurricula entwickelt, um eine optimale Versorgungsqualität für Patienten sicherzustellen. Denn Fußschmerzen gehören neben Zahnschmerzen und Erkältungen zu den häufigsten Beschwerden der Menschen.