Warum auch Portugals Medien von Zensur bedroht sind
: Mit den Banken starb die Pressefreiheit

Zu Hause bei Fremden

von Miguel Szymanski

Pressefreiheit ist auch eine Frage der Perspektive. In Deutschland wird die Pressefreiheit nur von zwei Seiten infrage gestellt: von links und von rechts. Eine Seite sieht die Medien als „Lügenpresse“, die andere als von wirtschaftlichen Interessen gelenkter „Mainstream“. Tatsächlich gibt es eine Pressefreiheit, auch wenn sie nur innerhalb einer von innen betrachteten Bandbreite existiert.

Ob „Sicherheitscodes“, die Apple, Google und Co. vor den amerikanischen Sicherheitsbehörden „schützen“, oder Panama Papers mit ausgesuchten Bösewichten, „Wahrheiten“ werden vorgekaut serviert. Dann gibt es noch ein Problem: Was nicht von einer Mindestmenschenmenge gekauft wird, kann faktisch noch so korrekt und frei sein – es existiert nicht. Was dagegen en masse gelesen und gesehen wird, kann Fakten noch so verzerren, es wird zur gängigen „Wahrheit“.

Mit der Pressefreiheit habe ich meine Erfahrungen gemacht. In den letzten drei Jahrzehnten war ich Mitarbeiter, Redakteur oder Ressortleiter von 14 Zeitungen und Zeitschriften in Portugal. In Deutschland habe ich als Redakteur eines Verbrauchermagazins gearbeitet, schreibe als Autor für eine Tageszeitung, sporadisch für eine Wochenzeitung und als Kolumnist für die Monatszeitung Portugal Post. Wegen „zu kritischer Artikel“ über verschiedene Finanzgruppen (Grupo Espírito Santo, Millennium und andere) wurde ich im Laufe der Jahre zur Persona non grata und das gleich in zwei portugiesischen Großverlagen. Der Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Sábado und Jahre später der Chefredakteur der Wirtschaftszeitung Diário Económico klopften mir beide irgendwann auf die Schulter und sagten, in sehr ähnlichem Wortlaut, es täte ihnen leid, der Vorstand mache Druck, sie könnten nicht anders. Schon meine erste Titelgeschichte im Jahr 1995 verhieß keine sehr steile Karriere. Thema: „40 Prozent der Luxusimmobilien der Algarve gehören Offshore-Unternehmen.“

Teresa Salvado, eine ehemalige Redaktionskollegin, bat mich heute, ihre Seite als Verkäuferin der Kosmetikfirma Mary Kay mit einem „Like“ zu versehen. Andere Kollegen fahren Tuc-Tucs in Lissabon, motorisierte Rikschas für Touristen. Dário Silva, ein Fotojournalist, ist jetzt Busfahrer im Flughafen Gatwick und sieht seine Frau und Kinder nur alle vier bis sechs Wochen. Ich habe die Journalisten gezählt, mit denen ich in Portugal noch in Verbindung stehe. Es sind fast 200, knapp ein Drittel meiner Kontakte. Davon sind 80 Prozent arbeitslos oder haben nur Gelegenheitsjobs.

In den letzten fünf Monaten mussten vier der wichtigsten Zeitungen des Landes Insolvenz anmelden oder bis zu zwei Drittel der Mitarbeiter entlassen. Die zwei verbleibenden Zeitungen mit einsatzfähigen Redaktionen werden von nur knapp einem Prozent der Bevölkerung gekauft. Die eine ist familiär auf das Engste mit dem Establishment verflochten, die andere gehört einer Investmentgruppe, die sie gezielt instrumentalisiert.

Zensur wird nicht zwingend von der Regierung im eigenen Land entschieden, nicht die Politiker in Lissabon treiben Journalisten in die Verzweiflung. Für den Wirtschaftskollaps Portugals ist das Spardiktat Berlins hauptverantwortlich: Um den Sumpf trockenzulegen, wurde nach 15 Jahren unverantwortlicher Kredite, die von deutschen Banken in den Süden flossen, der Geldhahn zugedreht. Ohne Rücksicht auf Kollateralschäden.

Das führte nicht nur dazu, dass eine halbe Million Portugiesen in den letzten fünf Jahren ausgewandert sind. Es kostet das Land auch das bisschen Pressefreiheit, das so mühselig aufgebaut worden war. Aus Solidarität wünsche ich mir demnächst auch eine taz-Ausgabe auf Portugiesisch: taz, o jornal diário.