Romantik (II)

Camille de Toledo will mit eher unbestimmter Dialektik provozieren und nimmt mit seinem Buch „Goodbye Tristesse“ die Generation Attac ins Visier

Camille de Toledo betreibt ein gelungenes Deleuze/Guattari-Bashing

VON NADJA GEER

Um es vorweg zu sagen: Dieses Buch ist nicht die erwartete Kapitalismuskritik eines 25-jährigen Millionenerben. Das war ein Werbetrick. Der Tropen Verlag schrieb lapidar, der 1976 geborene Camille de Toledo, Enkel des Danone-Mitbegründers Antoine Riboud, hätte sein Erbe ausgeschlagen, um in den linken Widerstand gegen den globalen Kapitalismus zu treten.

Doch schon wenn man die ersten dreißig Seiten von „Goodbye Tristesse“, Toledos autobiografisch eingefärbter Streitschrift, gelesen hat, wird klar: Dieser junge Bürger hat sein Erbe (wenn überhaupt, der Verlag revidiert seine Ankündigung gerade) zu einem äußerst günstigen Zeitpunkt in den Wind geschossen. Nachdem er die besten Voraussetzungen dafür hatte, im weltweiten Kulturkapitalismus mitzumischen. Wer die Pariser Eliteuniversität Science Po und die Londoner School of Economics besucht hat, steht per se im Zentrum. Wenn er sich dann zwischendurch an den Rändern tummelt, etwa bei den Zapatisten im Urwald oder bei den Londoner Reclaim the Streets-Aktivisten, ist das vielleicht für Toledos bourgeoise Familie nicht schön, für den Autor selbst aber nur ein Phase.

Darum geht es übrigens in „Goodbye Tristesse“. Um intellektuelle Phasen. Die von Toledo und die der frühen und mittleren Neunzigerjahre. Was der mitunter etwas pathetisch veranlagte Jungautor beispielsweise im mittleren Teil seines Essays betreibt, ist gelungenes Deleuze-Bashing. Toledo kritisiert Gilles Deleuze und Félix Guattari dafür, ein verschwurbeltes Widerstandstheorie-Universum aufgebaut zu haben, das keinerlei praktischen Nutzen hatte – außer dem physischen und psychischen Zusammenbruch von tausenden widerstandswilligen Spätpubertierenden. Leider schreibt der Autor das weder direkt, noch seziert er diesen interessanten Aspekt der sozialen Auswirkungen der Rhizomtheorie genau. Stattdessen referiert er erst wie ein braver Student den Zeitgeist der späten Achtzigerjahre und kommt zu dem Ergebnis: Massendandyismus.

Nicht schlecht, aber auch nicht gerade revolutionär. Dann kümmert er sich um die Neunzigerjahre, die er trotz seiner Jugend sehr intensiv erlebt hat: um Transgression, Cyberpunks und digitale Graswurzelrevolution plus dazugehöriger „Temporäre Autonome Zone“-Theorien – um die Traditionslinie vom Hipster zum Hacker, wenn man so will. Hierbei entwickelt er ein offen eingestandenes Faible für die romantische Idee der Piraterie. Schließlich landet er bei seiner Subversionsstrategie für das 21. Jahrhundert: der „Romantik der offenen Augen“.

Genau hier kippt die bis dato lesenswerte Theorie-Rückschau um in reine Dampfplauderei. Toledo hat sich mit seiner Neoromantik eine kitschige Widerstandsfantasie ausgedacht, die in der Lobpreisung der „Eleganz“ kulminiert und letztendlich nur eines deutlich werden lässt: den erneuten Umschlag von Politik in Pop. Denn Stil und Eleganz als die Weiterführung der Erschießung von Carlo Giuliani in Genua am 20. Juli 2001 zu sehen entbehrt jeder Progressivität oder inneren Logik. Um Logik geht es dem Autor eh nicht mehr: „Die Romantik der offenen Augen deckt das ganze Spektrum des Gefühls ab.“ These, Antithese, Synthese: das ist die Methode, mit der Toledo auf intellektuelle Strömungen und Moden reagiert. Das sind die „drei Stadien der Revolte“, die er uns am Ende des Buches als die spezielle Lebenserfahrung seiner Generation, der in den späten Siebzigerjahren Geborenen, verkaufen will: Die Ästhetik der Oberfläche der Achtzigerjahre ist die These, Pop und Politik der Neunzigerjahre die Antithese und die schöne Romantik der offenen Augen des 21. Jahrhunderts die Synthese.

Dieser plumpe Dreierschritt kommt also wieder einmal in der Ästhetisierung der Rebellion an. Toledo fühlt bloß zwei sich diametral entgegensetzende Subversionsmodelle zusammen. Von Denken kann hier schon gar nicht mehr die Rede sein, denn was seine eigene Theorie angeht, übersteigt Toledo die Ungenauigkeit der von ihm kritisierten Deleuze/Guattari bei weitem.

Selbststilisierung ist die Strategie, mit der Generationsbücher arbeiten. Ob jetzt die „Zonenkinder“ (Jana Hensel hat Toledos Buch ins Deutsche übersetzt), die „Generation Golf“ oder die von Toledo anvisierte Generation Attac – stets werden subjektive intellektuelle und emotionale Erfahrungen hochgerechnet und als Lebensbild einer größeren Anzahl von Menschen ausgegeben. Heraus kommt oft eine geschmäcklerische Mischung aus Zeitgeist und subjektiver Reflexion, die Toledo so auf den Punkt bringt: „Seine Dialektik ist unbestimmt und will die Wirklichkeit lieber provozieren, als sie zu ersetzen.“ Links ist das nicht. Aber sehr romantisch.

Camille de Toledo: „Goodbye Tristesse“. Aus dem Französischen von Jana Hensel. Tropen Verlag, Berlin 2005, 192 Seiten, 18,80 Euro