Bürgermeister schweigt über Fake-Jobs

Betrug Ein Bremerhavener Verein soll Hunderte von Schein-Arbeitsverhältnissen besorgt haben, um Geld vom Jobcenter zu bekommen. Der Magistrat wusste von dem Treiben, sagt aber nichts dazu

Mit der Affäre um einen Bremerhavener Verein, der über Jahre das Jobcenter betrogen haben soll, befassten sich am Donnerstagabend die Stadtverordneten. Sie erfuhren jedoch nichts Neues.

Der Geschäftsführer der „Agentur für Beschäftigung und Integration“ war SPD-Mitglied und hatte 2007 selbst für die Stadtverordnetenversammlung kandidiert. In bis zu 1.350 Fällen, so der Stand der Ermittlungen, könnte er türkischsprachigen Bulgaren und Griechen Scheinarbeitsverhältnisse besorgt haben. Die Fake-Jobs brauchten sie, um Arbeitslosengeld beantragen zu können. Denn Unterstützung gibt es in Deutschland für EU-BürgerInnen bislang nur, wenn sie hier bereits gearbeitet haben.

In Bremerhaven verdiente der mutmaßliche Betrüger gut an dieser Gesetzeslage. Nach bisherigen Erkenntnissen hat er gezielt Menschen nach Bremerhaven gelockt und ihnen für seine „Hilfe“ einen Teil ihres zu Unrecht bezogenen Arbeitslosengeldes abgenommen. Am Donnerstag wurden die Vereinsräume erneut durchsucht. Jetzt besteht auch noch der Verdacht, dass der Verein beim Jobcenter nicht erteilte Schülernachhilfe abgerechnet hat.

Dabei waren dem Jobcenter schon im Sommer 2014 „deutliche Strukturen beim verstärkten Zuzug“ aufgefallen. Das geht aus einer Chronologie des Jobcenters hervor, die der Magistrat auf seiner Homepage veröffentlicht hat. Dort heißt es: „Firmen besorgen Wohnungen, Arbeitsverträge, füllen Formulare aus und begleiten bei Behördenbesuchen. Erste Berichte tauchen an unterschiedlichen Stellen in der Stadt auf, dass Arbeitsverträge, Rechnungen bei Selbständigkeit und andere Formulare erkauft werden. Erste Erkenntnisse über mehrfach vermietete Wohnungen und weiße Kastenwagen, die Männer zu einem sogenannten Arbeitsstrich bringen.“ Strafanzeige stellte der Geschäftsführer des Jobcenters am 26. August 2015.

Dreieinhalb Monate zuvor – das steht in einer Übersicht des Magistrats – hatte es ein Gespräch mit der damaligen SPD-Stadträtin für Gesundheit gegeben, in der es um „Ungereimtheiten bei Arbeitsverhältnissen neuer EU-BürgerInnen“ ging.

Doch am Donnerstag konnte niemand den ParlamentarierInnen erklären, warum es so lange gedauert hatte, bis die Polizei eingeschaltet wurde: Der Sozialstadtrat war im Urlaub und Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) sagte: nichts. „Er hat statt auf unsere Fragen zu antworten auf die laufenden Ermittlungen verwiesen“, sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Sülmez Dogan.

Eine weitere Aufklärung auf politischer Ebene wird es wohl nicht geben: Die große Koalition lehnte die von den Grünen geforderte Einrichtung eines Sonderausschusses ab.

Für Rot-Grün in Bremen geht es auch um die knappe Mehrheit: Der Sohn des Vereins­chefs sitzt für die SPD im Bremer Landtag. Er war auch mal im Vorstand des Vereins, beteuert aber, er habe von den Geschäften seines Vaters nichts gewusst. Seine Genossen nehmen ihm übel, dass er im Wahlkampf 2015 gegen ein parteiinternes Fairness-Abkommen verstoßen hatte, indem er eigene Wahl-Flyer verteilte. Hergestellt hatte ihn der Verein seines Vaters. Auch sollen dessen „Angestellte“ ihm dabei geholfen haben, die Flyer unters Volk zu bringen. Eiken Bruhn