SchniPPeln Beim Kochen kann jeder was, ist jeder mal Chef, mal Gehilfe. Und wenn man Glück hat, stößt man auf etwas, das nicht nur schmeckt, sondern auch gut für die Haut ist
: Das tut dir gut, my dear

Im Innern des Fischkopfes sind kleine Widerhaken. „Sei vorsichtig“, sagt John Foto: Mark Muehlhaus/attenzione

Von Geraldine Oetken

Ich halte das Messer in der Hand und zögere kurz. Dann schneide ich den Fisch in zwei Teile und nehme den Fischkopf in meine Hände. John erklärt mir, wie man Herz und Lunge hinter den Kiemen hervorholt. Man muss vorsichtig sein. Wenn man die Organe verletzt, ist alles voller Blut. Meine Finger zittern. John nimmt mir den Fisch aus der Hand.

John ist 21 und kommt aus dem Südsudan. Und ja, er ist ein Flüchtling. Er nennt sich selbst so: Refugee. Aber wenn er jemanden kennenlernt, sagt er, würde er lieber ohne das Etikett auskommen.

Hannes, mein Freund, traf John vor neun Monaten. Über ein Patenprojekt haben sie sich kennengelernt. Hannes zeigte John Braunschweig. Sie redeten über die vielen Kirchen, über Religion und Glauben. Ich hatte wenig Zeit, Abschlussprüfungen an der Kunsthochschule. Aber irgendwann dazwischen war doch Gelegenheit, John kennenzulernen.

Der ganze Fisch in meiner Küche ist ungewohnt, ein wenig gruselig. Sonst lagert hier alles in vorfiletierten Scheiben. Diesmal kochen wir sogar den Fischkopf mit. Ich entdecke, dass man die Kiemen auseinanderfalten und den Fischkopf wie eine Handpuppe reden lassen kann. John lacht und sagt: „Sei vorsichtig.“ Es gibt knochige Widerhaken innen im Kopf, an denen man sich schneiden kann.

Hannes deckt den Tisch. Große Weingläser, rote Papierservietten, eine Kerze.

Wir sprechen Englisch. John erzählt, wie er jeden Tag deutsche Grammatik paukt. Wir wissen nicht, wie viel er schon versteht. John möchte erst Deutsch sprechen, wenn er es perfekt kann, sagt er. Ich antworte, während ich Zwiebeln schneide: „Das ist aber ein wenig utopisch“ und ärgere mich gleich danach. John zeigt auf einen Schriftzug an der Wand: „Ich erkenne die Buchstaben, es wird jeden Tag mehr.“ Dann legt er wie ein großer Denker den Finger ans Kinn und schaut nach oben. „Teekanne“ steht da.

Wir schnippeln alles klein: Okraschoten, Blattspinat, Zwiebeln. Aus Weichweizengrieß und heißem Wasser machen wir Fufu, eigentlich aus Ghana, „typically African“, sagt John. Er schlägt die dicke Masse im Topf mit einem Holzlöffel, damit der Brei schön fluffig wird. Er schlägt, schlägt, schlägt, macht Pause. „Zwei Minuten“, sagt er und stützt sich ab. „Soll ich mal?“, frage ich. „Nein, my dear, das ist zu anstrengend für dich.“

„Ich muss mich bewegen“, sagt John. „Das ist gut für mein System.“ Er spielt mit anderen Flüchtlingen in einer Fußballmannschaft. Draußen auf dem Land. Im Sommer, als Hannes und John sich die ersten Male trafen, haben sie Basketball gespielt. Anfangs war es seltsam, mehrere Stunden mit einer völlig fremden Person zu verbringen. Wie ein Blind Date. Da half Bewegung. Außerdem sollten die Treffen nichts kosten. Kino fällt weg, Minigolf auch.

Zwei gefrorene Makrelen

Eine Packung tiefgefrorener Blattspinat

500 Gramm Okraschoten

2 Esslöffel passierte Tomaten

Eine halbe Zwiebel

2 Würfel fette Brühe

6 Esslöffel Rapsöl

1.000 Gramm Weichweizengrieß

Die Suppe: Den Fisch inklusive Knochen in Scheiben schneiden, die Innereien aus dem Kopf ziehen und alles gut auswaschen. Die Zwiebel würfeln und mit dem Fisch und einem Würfel fetter Brühe fünf Minuten kochen. Fisch rausholen, Brühe aufheben. Das Rapsöl und die passierten Tomaten in einen Topf geben, auf kleiner Flamme erhitzen. Rühren, bis sich die Sauce dunkel färbt. Die Brühe vom Fisch und die geschnittenen Okraschoten rein, danach den Deckel nicht mehr schließen. Noch drei Minuten kochen. Dann Blattspinat hinzufügen und zwei Minuten kochen. Vorsichtig den gekochten Fisch dazugeben. Ein Würfel Brühe dazu, Salz, abschmecken.

Fufu: 1,5 Liter Wasser zum Kochen bringen, vom Herd nehmen und den Weichweizengrieß dazugeben. Rühren, Öl dazu, rühren.

Gerade ist es für Basketball zu kalt. Also haben wir uns in die Küche zurückgezogen, kochen ist unverfänglich. Man kann immer über das Essen reden. Und jeder kann etwas, zeigt etwas, ist mal Chef und mal Gehilfe. Vor Weihnachten habe ich Grünkohl gemacht, Original nach Heimatrezept. Hannes ist der Experte für Flammkuchen. Und John lehrt uns, Fisch zu zerlegen, bringt Neues in unsere Küche.

John malt ein Tier auf einen Zettel. „Esst ihr das?“, fragt er. Es ist ein schöner, schnell gezeichneter Hirschkopf, frontal, fast wie das Jägermeister-Logo. „Ja“, sagt Hannes. „Das ist lecker. Vor allem im Winter.“ John schaut etwas skeptisch.

Der Fisch ist fertig, wir setzen uns. Ich rolle das Fufu in einer Hand, dippe die Kugel in die Okrasoße und versuche sie möglichst schnell in den Mund zu schieben.

„Okraschoten machen die Haut weich“, sagt John und streicht über seinen Unterarm. „Sie tun dir gut.“ Wir trinken Rotwein zum Fisch. John hat ihn bei Penny ausgesucht. Das Etikett erinnerte ihn an den Wein, den er während seiner ersten Zeit in der Aufnahmebehörde trank. Und der war gut.

Wir fragen nicht nach Johns Geschichte, kennen sie nur bruchstückhaft. Wir warten, bis er anfängt zu erzählen, falls er anfängt zu erzählen.

Hannes und John reden über Computerviren, über die deutschen Gesetze beim Filmstreamen. Ich blättere in einer Zeitung auf dem Sofa.

Dann holt Hannes seine Ukulele. John singt gern. Wir arbeiten uns an den Romantikhymnen ab. „Halleluja, halleluja.“ Etwas verschüchtert summen wir bei Céline Dion mit, so richtig textsicher ist keiner. Bis zum Refrain, da werden wir laut: „Near, faaaar, whereeeeever you aaaaare.“ Ich verschütte meinen Tee vor Lachen.

Er ist Flüchtling, ja. Wenn er jemanden kennenlernt, würde er aber gern ohne das Etikett auskommen

Dann ist R. Kelly dran. „I believe I can fly“, das ist eines von Johns Lieblingsliedern. „I believe I can touch the sky“, John steht auf und breitet wie ein Popstar auf der Bühne die Arme aus, schaut nach oben an die Decke. „I believe I can soar.“ Ich glaube, ich kann aufsteigen.

Bei „running through that open doo-o-or“ schafft meine Stimme die oberen Töne nicht mehr, da steigt nichts. Aber John, der ist da ganz oben.

Wenn wir uns das nächste Mal zum Kochen treffen, wollen wir ein eigenes Lied singen. Jeder dichtet eine Strophe.

Das Lied hat auf jeden Fall schon einen Titel: „I believe I can fry“.

Die Essecke: Autoren der taz treffen sich auf dieser Seite jeden Monat mit Flüchtlingen, um mit ihnen zu kochen. Außerdem im Wechsel: Jörn Kabisch befragt Praktiker des Kochens, Philipp Maußhardt schreibt über das Essen in großen Runden und Waltraud Schwab macht aus Müll schöne Dinge