Grün verkauft sich also doch

KUNSTMESSEN BRÜSSEL Weniger Aussteller, dafür schärfere Konturen: Die Art Brussels startet mit neuer Chefin – und die erste Ausgabe der Alternativmesse „Independent“ mit komplizierter Premiere

Fotomontage des Fotografen, Obsession 1865–1870 Foto: Delmes & Zander

von Annegret Erhard

Brüssel ist von den Terroranschlägen des 22. März dieses Jahres sichtlich gezeichnet. Auf Straßen und Plätzen, in der Metro patrouillieren martialisch bewaffnete Polizisten, der Flughafen gleicht einer Festung. Internationale Besucher bleiben fern. Das bekam natürlich auch die Art Brussels zu spüren. Doch der unbedingte Wille, die Angst mit Lebensfreude und einer guten Portion Gelassenheit zu besiegen, ist allerorten zu verspüren.

Die neue Chefin der Kunstmesse Art Brussels, Anne Vierstraete, und Kuratorin Katerina Gregos haben Konzept und Struktur der Art Brussels überdacht. Unbrauchbares kommt weg, dafür gibt es ein paar Neuanschaffungen, es soll anders werden, besser. So läuft das bei einem Umzug. In den Tour & Taxis-Hallen finden nur noch 140 statt der bisherigen 190 Aussteller Platz. Das Feld geriet gehörig durcheinander. Viele mussten weichen, über dreißig Newcomer schärften zusätzlich die Konturen der 34. Ausgabe der wichtigen europäischen Messe für zeitgenössische Kunst, die sich in einer völlig überfrachteten Agenda behaupten muss.

Die Teilnehmer wurden in drei Unterkategorien sortiert: Unter „Prime“ wurde Etabliertes angeboten. Da war man dann auch schnell im hohen sechsstelligen Preisrahmen gelandet. Xavier Hufkens (Brüssel) offerierte zum Beispiel zwölf Gouachen aus der Serie „The Red Women“ von Louise Bourgeois (circa eine Million Dollar, man wollte sich da preislich nicht so richtig festlegen), bei Waddington Custot (London) hingen Werke von Antoni Tapiès, Robert Motherwell und Pierre Soulages, bei Patrick de Brock besann man sich mit einem extrem schmalen, fast vier Meter breiten, elegant gestreiften Querformat von Kenneth Noland auf die Wirkmacht der späten Sechziger (330.000 Euro). In „Sorry we’re closed“ (Brüssel) traten mit Arbeiten, die alle irgendwie der Farbfamilie Grün zuzuordnen waren, erfolgreich den Gegenbeweis zum selbst gewählten Motto „Green doesn’t sell“ an. Und präsentierten Fantasielandschaften von Yann Gerstberger, der Fragmente aus pigmentierten, vertikal aneinandergefügten Schnüren zum monumentalen, das Thema Material, Form, Farbe sinnenfroh variierenden Bild arrangiert (12.000 Euro).

In der Kategorie „Discovery“ wurden Galerien versammelt, die junge und jüngste Kunst vorstellten. Hier waltete weise Beschränkung. Mit hitziger 5-Minuten-Kunst, mit neoformalistischen Spielereien lassen sich derzeit nur noch die wenigsten zum Spontankauf animieren. Gelungene Debüts absolvierten hier unter anderem Sariev mit einem streng bulgarischem Programm und Unttld aus Wien mit großformatigen Interventionen von Caroline Heider, die Modefotografien der Wiener Werkstätte mit Faltungen und geometrischen Collagen zeitgemäß interpretiert (um 7.000 Euro).

Die dritte Sektion, „Rediscovery“, ist der einstigen, mittlerweile aus dem (Markt-)Fokus geratenen Avantgarde gewidmet. Ein ziemlich didaktischer Ansatz: Bei Künstlern, die sonst eher weniger Beachtung finden, soll offenbar der Preis gesteigert werden. Etliche Galerien haben diese Gelegenheit für sich ergriffen. Balzer projects aus Basel stellte beispielsweise mit Lilly Keller eine Künstlerin vor, die sich zunächst und ausgesprochen virtuos der Tapisserie gewidmet hat, bis ihr auffiel, dass diese Sparte als absolut frauenspezifische Kreativzone gehandelt wurde. Da hat sie ihren Webstuhl kurz und klein gehauen – und angefangen zu malen.

Der ersten Europa-Ausgabe der Alternativmesse Independent, bisher Satellit der New Yorker Armory Show, hätte man eine etwas weniger komplizierte Premiere gewünscht. In einem repräsentativen Zwanzigerjahrebau im Herzen der Stadt zeigten auf vier Stockwerken 60 fast durchweg namhafte Aussteller eindrucksvoll, wie sich eine zeitgemäße Messe idealerweise präsentieren kann.

David Zwirner ist mit feinen Skulpturen von Carol Bove angereist, und der renommierte Antikenhändler David Cahn aus Basel stellte sich erstmals der Herausforderung, jahrtausendealtes Ritual- und Gebrauchsgerät, das heute als Kunst betrachtet wird, an die Seite zeitgenössischer Kunst zu rücken, etwa an drei stählerne „Standstellen“ aus den siebziger Jahren von Franz Erhard Walther (120.000 Euro, Jocelyn Wolff, Paris).

„Es funktioniert, das hat mich selbst überrascht, jedes Stück bewahrt seine Autonomie“, sagt er im sanft schweizerischen Singsang. Das dürfte so ähnlich auch für die beiden Kunstmessen gelten. Wenn sie auf ebenbürtige Qualität setzen und den Anfechtungen blinder Rivalität widerstehen können. Im nächsten Jahr unter einem besseren Stern.