Große Ideen für kleines Geld

Mit dem LOS-Programm sollen sich sozial benachteiligte und arbeitslose Menschen selbst helfen

AUS KÖLN SUSANNE GANNOTT

Bei diesem Projekt ist vieles anders. Das Geld kommt zwar von der Europäischen Union aus Brüssel, aber verteilt wird es von den Bürgern vor Ort – in Duisburg-Bruckhausen, Ratingen-West oder Köln-Chorweiler. Auch geht es nicht um riesige Summen: Das Arbeitsmarktprogramm „Lokales Kapital für soziale Zwecke“, kurz LOS, fördert nur Mikroprojekte – mit maximal 10.000 Euro pro Jahr. Und das Geld geht auch nicht an die üblichen Profiteure der EU-Förderlandschaft: Die meisten Antragsteller sind kleine lokale Vereine, einzelne Bürger, Arbeitslose. Wie das funktioniert und ob auf diese Weise die Arbeitslosigkeit „von unten“ wirkungsvoll bekämpft werden kann, darüber diskutierten LOS-Spezialisten aus NRW am Mittwoch bei einem Fachkongress im Kölner Rathaus. Und sie stellten ihre Projekte vor.

In Ratingen zum Beispiel gibt es seit einem Jahr den „Westfalter“: Mit der Stadtteilzeitung für Ratingen-West will sich eine arbeitslose Redakteurin selbstständig machen. „Die Idee ist, dass sich die Zeitung über Anzeigen finanzieren lässt“, erklärt Rüdiger Rönne. Ob das funktioniert, wisse niemand, aber dank LOS habe sie jetzt die Möglichkeit das auszuprobieren. Rönne, Sportlehrer beim Allgemeinen Sportclub Ratingen West, sitzt im „Begleitausschuss“ aus Bürgern und Lokalpolitikern des Stadtteils und entscheidet dort mit über die Vergabe von LOS-Mitteln.

Rönne selbst hat im Frühjahr auch ein LOS-Projekt zur Berufsförderung für benachteiligte Jugendliche geleitet. Mit sechs Teenagern fuhr er eine Woche aufs Land, um über Berufswünsche und persönliche Probleme zu sprechen. Dann folgten außerbetriebliche und betriebliche Praktika. Jetzt haben zwei der sechs Jugendlichen „eine Chance auf einen Ausbildungsplatz“, erzählt er stolz. Aus diesem ersten Projekt hat Rönne nun eine neue LOS-Idee entwickelt: Er will in Ratingen-West ein „Netzwerk“ zum Thema Jugend und Beruf aufbauen. Das Ziel: einen Überblick zu bekommen über die verschiedenen Projekte und sie zu koordinieren. Der Ausbau solcher lokalen Netzwerke ist neben der Beschäftigungsförderung das zweite große Ziel von LOS.

Aber was kann mit solchen Kleinstprojekten überhaupt erreicht werden? Das war auf der Tagung die große Streitfrage. So warnte Joseph Prinz, LOS-Koordinator aus Köln-Chorweiler, vor einem „Etikettenschwindel“: LOS sei ja eine feine Sache, „aber es ist kein wirkungsvolles Instrument gegen Arbeitslosigkeit“. Auch Harmut Brocke von der LOS-Koordinierungsstelle im Bundesfamilienministerium gab zu, das Programm sei ein „Sahnehäubchen“ der Arbeitsmarktpolitik. Die EU habe aber einen weiteren Begriff von Beschäftigungspolitik als die Arbeitsagentur, die immer nur auf Zahlen schiele. „Auch ein Theaterprojekt ist Beschäftigungsförderung, weil es die Leute aktiviert.“ Und es gehe bei LOS vor allem darum, Menschen zu „aktivieren“, die von herkömmlichen Hilfen nicht erreicht würden. Die Situation des „Sozialhilfeadels“ werde sich nur ändern, „wenn die Leute selbst anfangen, sich etwas zu überlegen“, so Brocke.

Ein Paradebeispiel für diesen Ansatz ist das LOS-Projekt des Mädchenzentrums Mabilda aus Duisburg-Bruckhausen. Schulschwänzerinnen und Schulabbrecherinnen sollen dazu gebracht werden, sich über eine mögliche Berufswahl Gedanken zu machen. Im ersten Projekt-Jahr hieß das: Boxtraining und Selbstverteidigung. „Wir haben uns für ein niedrigschwelliges Angebot entschieden, um die Mädchen überhaupt zu erreichen“, erklärt Petra Kurek vom Verein Mabilda e.V. Im zweiten Jahr hätten die Mädchen dann von sich aus vorgeschlagen, Frauen einzuladen, die von ihren Berufen erzählen. Jetzt im dritten Jahr experimentierten die Mädchen mit Technik, „um zu lernen, dass es noch etwas anderes gibt als Friseuse“. Außerdem habe man damit begonnen, Texte über Berufe zu lesen. „Das sind ganz, ganz kleine Schritte“, sagt Kurek. Aber immerhin könnten die Mädchen jetzt leichter aus ihrer Situation herauskommen. „Sie haben Strategien und Perspektiven kennen gelernt.“

Dass sich der – ohnehin sehr geringe – finanzielle Aufwand der LOS-Projekte lohnt, steht auch für Tatiana Vorsmann außer Frage. Die Diplom-Ökonomin hat zusammen mit ihrem Kompagnon Mehmet Göksal eine Existenzgründungsberatung als LOS-Projekt in Köln-Chorweiler gegründet. Die Beratung ist kostenlos und erfolgt wahlweise auf Russisch, Türkisch oder Deutsch – ein Service, den die Arbeitsagentur im türkisch-russisch geprägten Stadtteil Chorweiler nicht bieten kann. In einem Jahr haben die LOS-Berater 100 Gespräche geführt, daraus sind acht Existenzgründungen entstanden. „Bei dreien habe ich ein gutes Gefühl“, sagt Vorsmann. Aber schon eine einzige Existenzgründung würde ausreichen, um die LOS-Projektkosten zu refinanzieren. „Man muss bedenken, dass die meisten unserer Kunden Arbeitslosengeld bekommen“.

Bei allem Lob für die Idee von LOS konnten sich viele Tagungsteilnehmer einen Seitenhieb doch nicht verkneifen: Dafür, dass das Programm als bürgernah und unkompliziert gepriesen werde, sei es ganz schön bürokratisch. Über 20 Seiten müsse man ausfüllen, beklagte Andreas Hildebrand vom LOS-Begleitausschuss in Köln-Kalk. „Und das für Projekte, die teilweise nur 400 Euro bekommen.“

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