Die Menschenflüsterer

BIOGRAFIEARBEIT Pferde können Menschen ihre „inneren Baustellen“ spiegeln. Damit sind sie wertvolle therapeutische Helfer – auch im anthroposophischen Kontext

Die Pferde sindstumme und liebevolle Zuhörer, die Brücken bauen

von Petra Haubner

Pferde sind Kommunikationsgenies: Als Flucht- und Herdentiere sind sie einerseits hochkooperativ und besitzen andererseits sehr feine Sinne, um innerhalb von Sekunden auf Gefahren reagieren zu können. Dadurch können sie hinter unsere Maske blicken: Ein Pferd wird einem ängstlichen Menschen seine Angst spiegeln, da sich diese auf das Tier überträgt und es als Fluchttier darauf selbst mit Angst reagiert. Ist der Mensch dagegen gelassen und selbstbewusst in seiner Körpersprache, wird das Pferd sicher und vertrauensvoll sein. Anthroposophisch geprägte Lebensgemeinschaften wie das „Haus Pegasus“ in Norddeutschland setzen ebenso auf das Pferd als Therapiehelfer wie pferdegestützte Therapien ohne ausdrücklich anthroposophischen Hintergrund.

Das Leben ist im Verständnis der Anthroposophie ein Weg, auf dem uns unsere Handlungen und Einstellung gegenüber dem Leben und der Welt immer wieder in Form des Schicksals begegnen, beeinflusst durch vergangenes und zukünftiges Karma. In der Biografiearbeit werden Beziehungen, berufliche Fragen oder wiederkehrende Rhythmen abgeklopft. Wichtig ist, dass die Erkenntnisse nicht bewertet werden. Dafür müssen Mensch und Therapeut unbefangen sein, wobei die Pferde wiederum durch ihre eigene Unbefangenheit helfen können.

„Wir verbinden die Arbeit mit den Pferden mit unserem anthroposophischen Ansatz, der Nähe zur Natur und dem Respekt vor Lebewesen. Oft entstehen auf geführten Ausritten tiefe Gespräche, in denen biografische Erlebnisse aufgearbeitet werden und in ein anderes Licht gerückt werden können“, erklärt Friederike Pauksztat, Leiterin der anthroposophischen Lebensgemeinschaft Haus Pegasus. „Die Pferde sind stumme und liebevolle Zuhörer, die wertvolle Brücken bauen können zwischen Therapeuten und Betreuten“.

Zu ihr kommen vor allem Menschen, die Missbrauch erlebt haben. „Bei den Tieren erleben sie eine reine Welt, die frei von Flashbacks und unangenehmen Erinnerungen ist.“

Selbst in der therapeutischen Methode der Familienaufstellung können Pferde eingesetzt werden, wie die Arbeit der Therapeutin Angelika Hutmacher von „Familienaufstellungen Pferde“ bekundet. „Der anthroposophische Ansatz zeigt, dass wir bessere Entscheidungen treffen, wenn wir uns auf die Natur einlassen“, erklärt sie. Durch die Familienaufstellung mit Pferden können eigene Baustellen entdeckt werden, weil der Mensch sich oft unbewusst zu dem Pferd hingezogen fühlt, das seine Probleme spiegelt. „Wir sind wie zwei Puzzleteile, die zusammenpassen. Weil der Mensch durch die Reaktionen und Probleme des Pferdes auf sich selbst zurückgeworfen wird. Wenn das Pferd zum Beispiel die Krankheiten der Mutter hat oder wenn das Pferd finanzielle Lücken im Konto aufreißt, weil der Vater pleiteging. Fast immer sind diese Zusammenhänge keine Zufälle“, beschreibt Angelika Hutmacher die Rolle der Pferde.

Unabhängig davon, ob der Therapeut einen anthroposophischen oder heilpädagogischen Ansatz verfolgt – letztlich geben die Pferde den Takt vor. Annette Heck von „A.H. Erlebnisse“ arbeitet zwar auf der Basis ihrer sozialpädagogischen Ausbildung, dennoch ist ihr die Anthroposophie nicht fremd. Ihre Ansätze gleichen sich, nur die Nuancen sind verschieden. „Die Bewegung mit dem Pferd draußen in der Natur ist geradezu heilsam und beruhigend. Die Kinder können ganz im Hier und Jetzt sein. Die Pferde nehmen sie einfach so, wie sie sind, ohne zu kritisieren oder zu belehren. Jedenfalls nicht mit Worten, denn das ist den Kindern häufig zu viel. Das kennen sie aus ihrem Alltag zur Genüge“, erklärt Annette Heck ihre Arbeit. Sie berichtet aus einem Training mit zwei Brüdern, die zu Hause täglich streiten, sich beleidigen und prügeln. Der jüngere Bruder hat Probleme mit seiner Impulskontrolle, der ältere ist ein Teenager auf der Suche nach seinem erwachsenen Ich. Das Pferd ist die Brücke. In der Stunde müssen die Brüder gemeinsam Aufgaben erfüllen, über diesen Austausch kommen sie sich näher. Bei einer Übung, die das Vertrauen fördert, sitzt einer von beiden mit verbundenen Augen auf dem Pferd, der andere läuft nebenher, gemeinsam müssen sie so einen Hindernisparcours bewältigen. Das schaffen sie nur, wenn sie miteinander reden und sich gegenseitig vertrauen. Am Ziel angekommen, fallen sie einander in die Arme. Ihre Mutter bestätigt: „Seit sie beim pferdegestützten Coaching sind, hat sich der Umgang zwischen den Brüdern wesentlich verbessert.“

In der anthroposophischen Biografiearbeit geht es um den Blick in die eigene Vergangenheit, darum die Gegenwart besser verstehen und die Zukunft gestalten zu können. Dabei können Pferde dem Menschen helfen. Lässt sich der Mensch in der Therapie auf das Pferd ein, kann er seine Gefühle leichter reflektieren und anerkennen. Das ist die Grundlage für Selbstbewusstsein, innere Zufriedenheit und damit für die Gestaltung der eigenen Zukunft.

Haus Pegasus: www.lebensgemeinschaft-pegasus.de

Angelika Hutmacher: www.familienaufstellungen-pferde.de

A-H-Erlebnisse: www.ah-erlebnisse.de