„Wir lassen uns nicht mundtot machen“

BEWEGUNG Seit 2013 treffen sich Tierrechtler in einem Wohngebiet im Hamburger Süden: Hier soll das Unternehmen LPT in großer Zahl Tierversuche durchführen. Zunehmend fühlen sich die Protestierenden von den Behörden gegängelt – jetzt klagen sie

von Annika Lasarzik

Ein paar flache Gebäude, Backstein und kaltes Grau, in der Mitte ein schmaler Weg. Mehr ist nicht zu erkennen vom Betriebsgelände, ein hoher Zaun mit Natodraht versperrt die Sicht. Nichts deutet darauf hin, dass sich hier, in Neugraben im Hamburger Süden, eines der größten Tierversuchslabore Deutschlands verbirgt, das „Laboratorium für Pharmakologie und Toxikologie“ (LPT).

Vor der Einfahrt hat sich eine Gruppe Demonstranten aufgestellt. 15 Leute stehen an diesem Nachmittag in einer Reihe den Gehweg entlang. „Ganz schön viele“, sagt Bettina Jung, „die meisten müssen ja arbeiten.“ Die Frau mit den blondgelockten Haaren trägt ein Schild: „Bei Menschen wäre es Folter“ steht darauf. Daneben ist ein Affe abgebildet, dem ein Bolzen in den Schädel gerammt wurde. Die Augen des Tieres sind weit aufgerissen. Es sind keine schönen Bilder, mit denen sich die Kampagne „LPT schließen“ an die Passanten wendet. Es sind auch keine netten Worte, die durch die ruhige Wohnsiedlung schallen: „So sehen Tierquäler aus!“, ruft ein älterer Mann, als ein blauer BMW vom LPT-Gelände fährt. „Schäm dich, schäm dich!“, ruf er weiter, den Zeigefinger auf den Fahrer gerichtet. Der blickt stur nach vorn, beschleunigt so schnell, dass die Reifen quietschen. „Gut, dass wir nicht ‚Tiermörder‘ gesagt haben“, sagt Bettina Jung, deren Blick auf einem Polizeibeamten auf der gegenüberliegenden Straßenseite ruht. „Das hätte Ärger gegeben.“

Seit 2013 schon protestieren Tierrechtler im Rahmen der Kampagne „LPT schließen“ gegen den Konzern, der bereits seit 50 Jahren Tierversuche durchführt: Sie organisieren Protestaktionen, stehen mehrmals pro Monat vor der Zentrale in Hamburg-Neugraben. Doch gerade hier vor der LPT-Zentrale, sagen die Aktivisten, dürfen sie nur noch zunehmend eingeschränkt demonstrieren: „Die Versammlungsbehörde hat seit August 2014 immer härtere Auflagen gegen uns erlassen“, sagt Martina Kunze, Sprecherin von „LPT schließen“. „Es ist erschreckend, dass faktisch demonstrationsfreie Räume entstehen, in denen eine Kritik an Tierversuchen nicht mehr wahrzunehmen ist.“

Wer heute eine Aktion anmeldet, muss sich an Regeln halten. Das zeigt ein Schreiben der zuständigen Behörde, das der taz vorliegt. Direkt vor den LPT-Toren dürfen die Aktivisten demnach keine stationäre Kundgebung abhalten; dafür sind drei Versammlungsorte vorgesehen, 100 Meter weiter. Höchstens fünf Minuten pro Stunde dürfen dabei Parolen gerufen werden, alternativ ist ein einzelner Redebeitrag pro Stunde erlaubt. Trillerpfeifen „oder ähnliche lärmerzeugende Gerätschaften“ sind ebenso verboten wie das „Belästigen von Passanten“. Und die Mitarbeiter von LPT als „Tiermörder“, „Mörder“ oder „Mörderpack“ zu bezeichnen, das ist erst recht untersagt.

Akzeptieren wollen die Leute von „LPT schließen“ nicht: Anfang März haben sie beim Hamburger Verwaltungsgericht Klage eingereicht, unterstützt von der Anwältin Cornelia Ganten-Lange. „Durch die Auflagen wird wesentlich in das Versammlungsrecht eingegriffen“, sagt sie. „Die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung wird den Verhandlungsteilnehmern verwehrt.“ Ziel der Klage sei es, die behördlichen Auflagen als rechtswidrig einstufen zu lassen – und für künftige Proteste aufzuheben.

Wie begründet sich die Strenge der Behörde eigentlich? Dazu könne man sich aufgrund des laufenden Verwaltungsgerichtsverfahrens nicht äußern, sagt Polizeisprecherin Tanja von der Ahe. Laut Versammlungsgesetz kann die Behörde Auflagen erlassen, wenn die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigt ist. Dass es beim Protest in Neugraben immer wieder auch Probleme mit Anwohnern gegeben hat, das räumen auch die Aktivisten selbst ein: Diese Leute hätten sich vor allem beschwert, weil die Aktivisten ihnen zu laut gewesen seien. Auch an diesem Nachmittag demonstrieren Bettina Jung und die anderen direkt neben einer Kindertagesstätte.

„Es gab immer wieder Beschwerden von der Leitung und von einzelnen Eltern“, sagt Katharina, die wegen der Demo aus Lüneburg hergekommen ist. Sie sieht in den Auflagen den Versuch, einen „Deckmantel des Schweigens“ über das zu legen, was LPT in seinem Labors mache. Provozieren, laut sein und, wenn nötig, schockieren: Das sei nun einmal nötig, um zum Nachdenken anzuregen. Was die Versammlungsbehörde festgelegt habe, nennt die Aktivistin „überzogen und absurd“. LPT forsche „im Geheimen“, ergänzt Bettina Jung, „durch uns haben viele Anwohner überhaupt erst erfahren, dass in dieser Siedlung Tiere für die Forschung getötet werden“.

Doch nicht nur „LPT schließen“ demonstriert in Neugraben und über die Mittel des Protestes gibt es auch unter Tierrechtlern sehr verschiedene Ansichten. Horst Plohnke engagiert sich seit Jahren in der Bürgerinitiative „Lobby Pro Tier“ gegen LPT – mit stillen Mahnwachen vor dem Labor. „Wir gehen den Weg des Verstehens, wollen Passanten und Mitarbeiter lieber informieren und mit ihnen in den Dialog treten, anstatt sie anzubrüllen“, sagt der Rentner. Von den Auflagen der Polizei sei seine Gruppe denn auch nicht betroffen.

Direkten Kontakt zwischen dem Versuchslabor und den Tierrechtlern hat es nie gegeben

Das Unternehmen hat sich bisher nicht geäußert: weder zum Protest gegen seine Geschäfte noch zu den Auflagen durch die Behörden. Überhaupt hat es nie direkten Kontakt zwischen LPT und den Tierrechtlern gegeben. Die Firma setzt auf strikte Geheimhaltung, nicht mal über sie selbst ist viel bekannt. Fest steht, dass der Betrieb seit 50 Jahren in Besitz der Hamburger Familie Leuschner ist. Neben der Zentrale in Neugraben gibt es eine Außenstelle in Neu Wulmstorf-Mienenbüttel, in der hunderte Beagles gezüchtet und getestet werden. Doch was genau in den Laboren passiert? LPT spricht nicht mit der Presse, mehrere Anfragen der taz blieben unbeantwortet. Auch politische Initiativen laufen ins Leere: Als der Bürgermeister von Mienenbüttel die örtliche Beaglezucht vor fünf Jahren besuchen wollte, lehnte LPT mit Verweis auf das Betriebsgeheimnis ab. Eine ähnliche Anfrage der niedersächsischen Grünen-Landtagsfraktion blieb 2014 ebenso erfolglos.

Ein wenig Aufschluss gibt die Recherche in Internetarchiven: Auf einer alten Webseite wirbt der Konzern damit, über Kapazitäten für 10.000 Mäuse, 1.500 Hunde und bis zu 500 Affen zu verfügen. Geforscht werden könne außerdem an Hamstern, Meerschweinchen, Katzen, Fischen, Hasen und Vögeln. Bei den Versuchen gehe es um Medikamente gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch Industrie- und Landwirtschaftschemikalien. Corinna Gericke, Vorsitzende des Vereins „Ärzte gegen Tierversuche“, vermutet: „Es handelt sich um Giftigkeitsprüfungen. Dabei wird den Tieren eine giftige Substanz etwa durch ein Metallrohr direkt in den Magen gepumpt. Dann wird getestet, bei welcher Menge die Tiere sterben. Auch Infusionen, Inhalationen oder Injektionen sind gang und gäbe. Allesamt furchtbare Torturen.“

Auch Botulinumtoxin, Botox, wird im LPT-Labor getestet. Gericke verweist auf das Tierschutzgesetz: Es erlaubt Tierversuche nur bei fehlenden Alternativen. „Seit Jahren gibt es eine tierversuchsfreie Methode, um Botox zu testen“, sagt die Veterinärin – der Hersteller, das Pharma-Unternehmen Merz, setze sie aber schlicht nicht ein. „Die Behörden sollten mutiger sein, das Tierschutzgesetz konsequent umsetzen und den Konzernen dementsprechend auch Verbote erteilen“, sagt Gericke. Ihr Verein hat vor zwei Jahren 60.000 Unterschriften gegen die Botoxversuche von LPT gesammelt und dann bei der Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz abgeliefert. Reagiert hat die bis heute nicht.

Wie es mit der Klage der „LPT schließen“-Aktivisten weitergeht, ob es bei den absurd anmutenden Auflagen bleibt, ist offen: Die Klageschrift wird derzeit geprüft. „Wir lassen uns“, sagt Sprecherin Martina Kunze, „nicht mundtot machen.“