Transition Town

Die neue Energie in deiner Nachbarschaft. Mit Transition Town auf eine Utopie hinarbeiten

Die Aktiven von Transition Town begrüßen mich mit Tee und einer riesigen Karte. Die Karte stellt sehr detailliert die Umgebung des Reichenberger-Kiezes dar und ist mit vielen bunten Punkten markiert. „Rote Punkte sind zum Beispiel ausgemachte Energieverschwender“, erklärt Rahel Schweikert und zeigt auf die Karte. „Hier hat ein Nachbar ein leeres Schulgebäude im Hinterhof. Da sind oft die Fenster offen und gleichzeitig wird geheizt. Pure Energieverschwendung“, findet sie. Die 40-Jährige ist bei der jüngsten Transition-Town-Initiative in SO 36 aktiv. Die Ideen und Projekte, die auf der Karte verzeichnet sind, kommen alle aus der Nachbarschaft. „Auf dem letzten Stadtteilfest wurden die BewohnerInnen befragt und Ideen für einen besseren Kiez gesammelt“, erklärt sie. Die Ergebnisse der Befragung finden sich als grüne Punkte auf der Karte wieder. „Eine Idee ist zum Beispiel, das Dach des Bahnhofes am Kotti in eine Solaranlage zu verwandeln“, erklärt Andreas Teuchert, ebenfalls von Transition Town SO36.

Die Stadt im Übergang, so könnte Transition Town übersetzt werden. Eine neue Bewegung aus England, die inzwischen weltweit an 254 Orten Fuß gefasst hat. Seit Anfang des Jahres gibt es die Initiative auch in Friedrichshain-Kreuzberg. Rund 15 Aktive setzen sich hier dafür ein, dass mehr Solaranlagen auf die Dächer ihres Kiezes kommen oder Obstbäume in den Höfen gepflanzt werden. Es geht um Selbstversorgung und Umweltschutz, um lokale Kreisläufe und ein Zusammengehörigkeitsgefühl in der Nachbarschaft. Der Stadtteil soll wie ein Organismus funktionieren und Essen und Energie möglichst selber produzieren.

„Das Ganze beruht auf dem Gedanken der Permakultur-Bewegung“, erläutert Simone. Die 26-Jährige ist die Dritte im Team von SO 36. Transition Town SO36 ist der jüngste Ableger der Bewegung, hier konzentrieren sich Rahel, Simone und Andreas explizit nur auf den Wrangel- und Reichenberger-Kiez.

Angetrieben werden die Aktiven durch die Einsicht, dass es so wie bisher nicht weitergeht. „Das große Problem der Weltwirtschaft ist das Wachstumsprinzip“, meint Andreas Teuchert. „Wichtig ist, Peak-Oil und den Klimawandel zusammen zu denken“, erläutert Rahel die Grundidee der Transition-Town-Bewegung. „Wenn man wirklich daran glaubt, dass es in 15 Jahren nicht mehr genug Erdöl gibt, dann müssen sich alle einschränken und umdenken.“ Auf die Frage, ob es denn auch um Verzicht geht, ist die Antwort ganz klar: „Ja.“ Wobei Verzicht nicht das richtige Wort sei: „Konsum ist nicht die einzige Form, um zu Reichtum und Genuss zu kommen. Die eigentliche Vielfalt beginnt im Gegenteil erst, wenn die Grenzen des Konsums gesprengt werden“, zitiert Simone aus einem Buch. So ein bisschen wollen die Aktiven von Transition Town das große Ganze ändern und das ist ihnen auch bewusst. „Mit drei Leuten können wir natürlich nicht die Welt retten“, so Rahel Schweikert. Deshalb haben sie ja auch die lokale Ebene, den Kiez gewählt. „Think global – act lokal“, zitiert Andreas das bekannte Motto der Nachhaltigkeitsbewegung. Ähnliches hatten auch schon die Akteure des Agenda-21-Prozesses vor, weltweit und und von oben initiiert. Dieser ist bekanntlich im Sande verlaufen, was die Aktiven genau mit dem falschen Ansatz eines „Top-down“-Prozesses begründen. Überhaupt sprechen die Aktiven der Politik jeglichen Veränderungswillen ab.

„Ich finde das Wort Graswurzel eigentlich sehr sympathisch“, fasst Simone das Selbstverständnis der Aktiven zusammen. Um die Transition-Town-Idee umzusetzen, werden Methoden aus der Stadtplanung eingesetzt. Mit partizipativen Methoden soll ein Energiewendeplan, ein alternativer Bebauungsplan, aufgestellt werden. Dabei sollen möglichst alle im Kiez ihre Vorstellungen einbringen. Die Zeitplanung ist bis 2036 großzügig angelegt. Zuerst soll eine Utopie zusammengetragen werden, basierend auf der Frage: Wo wollen wir 2036 sein, wie soll der Kiez dann aussehen? „Von dieser Utopie aus sollen dann die konkreten Schritte und ein Zeitplan erarbeitet werden, um das Gewünschte umzusetzen“, erläutert Andreas das Vorgehen. Dabei bauen die Aktiven darauf, die Menschen im Kiez zu mobilisieren und vom Fernseher wegzulocken. Sie sollen für neue oder auch bestehende Projekte begeistert werden. Auch diese werden in den Energiewendeplan integriert. „Es gibt ja bereits viele Initiativen, die in unserem Sinne aktiv sind“, verweist Andreas auf die blauen Punkte in der Karte. Fürs nächste Jahr haben sich Rahel, Simone und Andreas viel vorgenommen. So soll die Karte noch mehr mit Leben gefüllt und veröffentlicht werden. Außerdem geplant sind weitere Bürgerbefragungen, ein ökologischer Kiez-Spaziergang und Pflanzaktionen im öffentlichen Raum. JÖRN ALEXANDER

■ Transition Town Friedrichshain Kreuzberg trifft sich jeden Montag in der Kreutzigerstr. 19.

Beginn: 20 Uhr

■ Transition Town SO36 jeden Dienstag, im Kinderbauernhof im Görlitzer Park.

Beginn: 20 Uhr

■ Im Netz:

www.ttfk-berlin.de/so36