american pie
: Bericht über einen Bericht

Die National Football League leugnet wieder einmal den Zusammenhang des Vollkontaktsports mit Gehirnerkrankungen

Dorothy Mitchell war ausgesprochen beliebt in der Anwaltskanzlei Covington and Burlington, die Klienten, mit denen sie zusammenarbeitete, waren stets zufrieden. So etwa der Verband der Tabakindustrie, dem sie bei Klagen Geschädigter viele Millionen Dollar einsparte. Ein anderer Klient der Kanzlei war mit der Arbeit von Dorothy Mitchell nicht minder zufrieden: die US Football Liga NFL. In ihrer Beratertätigkeit für das Komitee, das den Zusammenhang des Spiels mit Gehirnverletzungen der Spieler untersuchte, habe sie „unschätzbare Dienste“ geleistet, wie Dr. Joseph Waeckerle, ein Mediziner des Gremiums, bestätigte.

Der Bericht der Untersuchungskommission, der 2001 veröffentlicht wurde, wird schon seit Langem kritisiert. Wissenschaftler, die unabhängige Forschung zu dem Thema betreiben, behaupten, der Bericht spiele dramatisch den Zusammenhang zwischen Football und Hirntrauma herunter. Jetzt hat die New York Times jedoch aufgedeckt, dass der Bericht – Grundlage eines 765-Millionen-Dollar Vergleichs zwischen der Liga und ehemaligen Spielern – noch unseriöser ist als bislang angenommen.

Mehr als 100 diagnostizierte Hirnschäden, die dem Komitee gemeldet wurden, tauchen nicht in dem Bericht auf. Zudem war es den Clubs freigestellt, Verletzungen zu melden oder nicht. Bei der groß angelegten Verharmlosung, die der Bericht des Komitees darstellt, hat sich die Football-Liga Rat bei Leuten geholt, die Erfahrung in diesen Dingen haben. Dorothy Mitchell war nicht die Einzige, die mit der Tabakbranche zu tun hatte. Die Verbindungen zwischen den beiden gesundheitsschädlichen Branchen sind vielfältig. „Es gibt lang anhaltende und tiefe Verflechtungen zwischen den beide Branchen“, so die Times – nicht zuletzt auch in Person des Besitzers der New York Giants, Preston Tisch, der große Anteile am Tabakkonzern Lorillard hält.

Die NFL will das natürlich anders dargestellt wissen. Noch in der Ausgabe, in welcher der Bericht erschien, schaltete die Liga großflächige Anzeigen, in denen sie behauptete, die Times entstelle die Fakten. Einen Tag später veröffentlichte die Liga eine Gegendarstellung, die noch umfangreicher war als das drei Seiten lange Zeitungsdossier. Garniert wurde das alles mit einer Social-Media-Kampagne, welche die Grey Lady des Sensationalismus beschuldigte.

Wirklich erfolgreich war die Gegenkampagne allerdings nicht. Das stärkste Argument gegen die dünne wissenschaftliche Basis des Berichts war, dass die Liga nie behauptet habe, die Erkenntnisse basieren auf vollständigem Datenmaterial aus der gesamten Liga. Und dann behauptete die NFL noch, man habe nichts von Dorothy Mitchells Arbeit für die Tabakbranche gewusst, als man sie in die Kommission berufen habe. Angesichts der Tatsache, dass Mitchells Erfolge für die Tabakindustrie bis dahin ihre Karriere bestimmt hatten, klingt das jedoch wenig glaubhaft.

Die Mauertaktik der NFL stellt einen riesigen Rückschritt nach zäh erkämpften Fortschritten im Kampf um die Anerkennung der Risiken und Nebenwirkungen des Football-Spektakels dar. Erst vergangene Woche hatte bei einer Kongressanhörung ein Liga-Verantwortlicher zum ersten Mal einen Zusammenhang zwischen dem Football-Spiel und der degenerativen Hirnerkrankung CTE eingeräumt. Jetzt versucht die Liga jedoch wieder die Haltung einzunehmen, die sie seit Jahren vertritt. Demnach sei der Football-Sport unbedenklich. Angesichts einer wachsenden Anzahl prominenter Spieler, die an Spätfolgen wie Demenz und Depression leiden, kauft eine sensibilisierte Öffentlichkeit der NFL diese Linie nicht mehr ab. Der Gewaltdport wird sein PR Problem so rasch nicht wieder los. Sebastian Moll