In Stedorf bei Verden wurde ein Bauernhof umgebaut. Heute leben dort 24 Menschen in einer Hofgemeinschaft. Ihre Vermieterin ist die AllerWohnen Genossenschaft, in der die BewohnerInnen Mitglied sind Foto: AllerWohnen e.G.

Alternative Wohnidylle statt Mietwucher

Leben Wer ein Wohnprojekt gründen will, muss nicht reich sein. Das nötige Eigenkapital für den Bankkredit können auch UnterstützerInnen geben. Beratung und Hilfe gibt es unter anderem beim Mietshäuser Syndikat

von Jannik Sohn

Selbstorganisiert und gemeinschaftlich Wohnen: In Zeiten steigender Mieten und Wohnungsmangel finden sich immer mehr Gruppen zusammen, um Wohnprojekte zu gründen. Auch für Menschen mit geringen Einkommen oder wenig Eigenkapital gibt es verschiedene Möglichkeiten, fernab vom profitorientierten Wohnungsmarkt zu leben. Kredite von bekannten oder befreundeten UnterstützerInnen des Wohnprojektes gehören fast immer zu einer erfolgreichen Realisierung, denn die Finanzierung von Wohnprojekten ist schwierig.

„Mein Eindruck ist, dass der Bedarf an gemeinsamen Wohnen steigt“, erklärt Moritz Holtappels. Er arbeitet ehrenamtlich für die Regionale Koordinierung Nord des Mietshäuser Syndikats. Seit 1993 unterstützt und berät das Syndikat Gruppen bei der Umsetzung von alternativen Wohnprojekten. In Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein ist das Syndikat an elf Projekten direkt beteiligt. Mit einem klar politischen Anspruch: Immobilien sollen dem Markt entzogen werden und nicht weiter als Spekulationsobjekt dienen.

„Es braucht eine Gruppe und eine Immobilie“, sagt Holtappels. Aufgrund mangelnden Wohnraums bauen die meisten Wohnprojekte selber, sagt er. Die potenzielle Gemeinschaft kann sich mit einem Konzept dann an das Mietshäuser Syndikat wenden. Dies beinhaltet auch die Finanzen.

Er nennt dieses Finanzierungskonzept einer zukünftigen Bau- oder Wohngemeinschaft den „wichtigsten Teil“ der Vorbereitungen. Holtappels erklärt, dass darin die Direktkredite, wie Privatdarlehnen von FreundInnen, Bankkredite, die Zinssätze und erwartete Mieteinnahmen dargelegt werden sollten.

Wenn ein neues Wohnprojekte in das Syndikat aufgenommen wird, gründet die Gruppe eine GmbH. An dieser beteiligt sich das Mietshäuser Syndikat, meistens mit etwa 12.000 Euro, und wird Gesellschafter der GmbH. Das Wohnprojekt und das Syndikat erhalten ein Vetorecht auf den Verkauf der Immobilie. So ist ein „Verkauf absolut nicht möglich“, sagt Holtappels.

Mit den Mieteinnahmen werden die Zinsens der Privat- oder Bankkredite getilgt. „Die Mieten bleiben generell konstant, oder können im sehr günstigen Fall auch sinken“, selbst wenn die Mieten in der Umgebung steigen, sagt Holtappels.

Für Wohnprojekte sind Privatdarlehen häufig nötig. Die privaten InvestorInnen, auch aus dem Freundeskreis, seien „für die Psychologie eines Wohnprojekts wichtig“, sagt Wiebke Johanning. Sie ist Pressesprecherin der Bewegungstiftung mit Sitz in Verden. Für den Zusammenhalt der Gruppe sei es ein gutes Zeichen, dass Menschen sie unterstützen.

Neben den Förderungen von sozialen Initiativen und politischen Gruppen, legt die Bewegungsttiftung ihr Geld auch in alternativen Wohnprojekten an und vergibt Kredite an sie. In Norddeutschland beteiligte sich die Stiftung an der Finanzierung der „Allemende Wullsdorf“ in der Nähe von Hamburg.

Die Motivation der Bewegungstiftung: Durch die Zinserlöse aus den Geldanalagen möchte man die Fördertöpfe für soziale Bewegungen füllen, erklärt Pressesprecherin Johanning. Man begreife Kapital „als politischen Hebel“, sagt die sie. Wohnprojekte selbst seien „ein guter Hebel um Dinge im Stadtteil anzustoßen“. Selbstverwaltung, gemeinschaftliches Zusammenwohnen in einer engen Nachbarschaft und nicht zuletzt ein ökologischer Anspruch seien ein „Leuchtturm des Zusammenlebens“, so Johanning.

„Wir werden aktiv auf Anfrage“, sagt sie. Geplanten Wohngemeinschaften könnten ein Darlehen der Stiftung beantragen, dafür ist ein genauer Finanzierungsplan notwendig. In dem finden sich Eigenkapital, bisherige Darlehens und Absicherungen wieder. „Die Bewegungsstiftung wird interessant wenn eine gewisse Finanzierung erreicht ist“, so Wiebke Johanning, etwa wenn Eigenkapital und Bankkredite für die Finanzierung des Bauvorhabens nicht ausreichen „Wir finanzieren, wo Banken aufhören“.

Die Zinssätze der Stiftungsdarlehen betragen zwei bis drei Prozent Zinsen, ein üblicher Satz den auch Banken nutzen. Tilgung, Laufzeit und Zinssatz werden in einem Vertrag festgelegt. Man schaue, dass ein Kredit zur „beiderseitigen Zufriedenheiten gestaltet ist“, sagt die Pressesprecherin.

Von der ersten Kontaktaufnahme einer Wohngemeinschaft bis zu der Entscheidung der Stiftung vergehen vier bis sechs Monate, erklärt sie. Der Anlageausschuss der Stiftung entscheide, ob ein Kredit vergeben wird. Die Stiftung verfolgt dabei ethische und nachhaltige Kriterien: Umweltschutz, Ökologie und gesellschaftlicher Wandel stehen im Vordergrund.

Man habe gerade einen „Schwung Darlehen vergeben“, so die Sprecherin der Stiftung. Interessierte Projekte können sich aber trotzdem an die Stiftung wenden.

Die Bewegungsstiftung tritt außerdem als Fördergenossin der „AllerWohnen“ in Erscheinung. Als Genossenschaft realisiert und verwaltet sie verschiedene Wohnprojekte im niedersächsischen Verden. Nachhaltigkeit, energetisches bauen und sanieren, Selbstverwaltung der Projekte und Solidarität unter den GenossInnen sind prägend für die AllerWohnen.

Etwa im Dörverdener Stadtteil Stedorf. Hier wurde ab 2000 ein Bauernhof mithilfe der AllerWohnen umgebaut. Hier leben 24 Menschen in einer Hofgemeinschaft zusammen. In Selbstverwaltung: Mieten werden hier von der Gemeinschaft festgelegt. Alle Projekte der Genossenschaft beteiligen sich, mit ihren Hausgemeinschaften, an der Organisation und Verwaltung der gesamten AllerWohnen.

„Zu uns hat eine Genossenschaft sehr gut gepasst“, erklärt die Sprecherin der AllerWohnen, Jutta Sundermann. Es sei wichtig, dass die Projekte den Genossen selbst gehören. Die Projekte der Allerwohnen zeigten, dass „Selbstverwaltung sehr präsent ist“.

„Wir sind nicht üppig im Geld“, ergänzt sie. Neue Wohnprojekte in Verden und Umzu müssten Eigenkapital in die Genossenschaft mitbringen. Man sei also keine „Cash-Cow“, so Sundermann, jedoch vertrauen die Banken der AllerWohnen. Die Genossenschaft könne so auch Bankkredite ermöglichen. Durch den nachhaltigen Anspruch der Wohnprojekte gehören auch Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau zu den Finanzierungsquellen der AllerWohnen.

In Hamburg initiierte die Hansestadt selbst die Unterstützung von Wohnprojekten. 1985 rief die Hamburger Bürgerschaft „Stattbau Hamburg“ ins Leben: Als „alternativer Sanierungsträger“, wie Tobias Behrens, Geschäftsführer der Stadtentwicklungsgesellschaft, betont. Ursprünglich als „intermediärer Träger“ zwischen Politik und HausbesetzerInnenszene, hilft Stattbau mittlerweile Gruppen bei der Umsetzung und Verwaltung ihrer Wohnprojekte. Als „Baubetreuer und Projektentwickler“, so Behrens. Häufig gründe sich eine Kleingenossenschaft, die ein Haus baut. „Mieter und Eigentümer sind hier identisch“, sagt er.

Behrens ergänzt: In der Hansestadt sei die Finanzierung von alternativen Projekten schwierig. „Das Problem in Hamburg ist, dass die Grundstückspreise gestiegen sind“. Dies mache den Kleingenossenschaften zu schaffen, denn teilweise müssen pro Quadratmeter 600 Euro Eigenkapital aufgebracht werden. Dies könne für eine Wohngemeinschaft bis zu 30.000 Euro bedeuten. Insgesamt gebe es in Hamburg zudem einen Mangel an Grundstücken.

Laut Behrens, unterstützt die Stadt Wohnprojekte und Mietgemeinschaften über Fördergelder des sozialen Wohnungsbaus. Bei energetischem Bau empfiehlt er außerdem die Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau.