Erbe von Brandt,
Frieden mit Gysi

Westerwelle Im Auswärtigen Amt erinnern Weggefährten an den verstorbenen Exminister

„Er glaubte an die Kraft von Rede und Gegenrede“

Christian Lindner (FDP)

BERLIN taz | Es ist eigentlich noch nicht lange her, dass Guido Westerwelle sein Büro im zweiten Stock des Auswärtigen Amtes räumte. Genau genommen: gerade mal zwei Jahre und vier Monate. Ein Stockwerk tiefer, im Weltsaal des Ministeriums, ist das am Montagvormittag kaum zu glauben. Als dort Gäste aus Politik, Diplomatie und Gesellschaft des verstorbenen Exaußenministers gedenken, scheint dessen Amtszeit weit weg. Vielleicht liegt das an der simplen Tatsache, dass es wirklich etwas andere Zeiten waren, in denen Westerwelle mitregierte.

Etwas andere Zeiten, zum Beispiel, was den Frieden angeht. Der amtierende Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, erinnert an Leitmotive seines Vorgängers: „Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik. Friedliche Lösungen suchen, mit aller Beharrlichkeit. Politische und zivile Lösungen haben Vorrang.“

Westerwelle hatte sich zu seiner Amtszeit unter anderem für den Abzug von Atomwaffen aus Deutschland und gegen eine Bundeswehrbeteiligung an den Luftangriffen in Libyen eingesetzt. Die Überzeugung der schwarz-roten Nachfolgeregierung, Deutschland müsse sich, wo nötig, stärker als bisher militärisch engagieren, teilte er nicht – obgleich Steinmeier betont, der Vorrang des Zivilen ziehe sich als Richtlinie „von Willy Brandt zu Guido Westerwelle und weiter“.

Oder etwas andere Zeiten, was Europa angeht. „Er hat sich um Deutschland und um ­Europa verdient gemacht“, sagt EU-Kommissionspräsident Jean-­Claude Juncker. Die Eurorettung, der Interessenausgleich zwischen den Mitgliedsstaaten, die Stärkung der europäischen Institutionen – all das habe Westerwelle während seiner Amtszeit vorangetrieben. Nun ist es nicht so, dass nach dem Regierungswechsel 2013 in Deutschland und auf dem Kontinent keine überzeugten Europäer übrigblieben. Gestiegen ist deren Anzahl seitdem aber auch nicht unbedingt.

Etwas andere Zeiten schließlich auch, was den Umgang mit politischen Gegnern angeht. „Er glaubte an die Kraft von Rede und Gegenrede“, sagt FDP-Chef Christian Lindner. In Debatten habe Westerwelle provoziert, „Auseinandersetzung aber nie als unversöhnliche Feindschaft“ verstanden. Das habe nach der Todesnachricht sogar der ehemalige Linken-Fraktionschef Gregor Gysi anerkannt. Fairness unter Feinden: Falls ab 2017 die AfD auch im Bundestag sitzt, wird sich Gysi einen Gegner wie Westerwelle wohl noch zurückwünschen. Tobias Schulze