60 Jahre Bundesnachrichtendienst: „Die wussten überhaupt nichts“

Vor 60 Jahren wurde der BND offiziell gegründet. Doch alles begann viel früher: mit einem Nazi in den bayerischen Bergen.

Ein Mann mit Schlapphut und Fernglas vor einem Hochhaus

Demonstrant vor der Berliner BND-Zentrale: Fernglas und Schlapphut, das Lieblingsklischee Foto: dpa

Am Freitag vor 60 Jahren erblickte Deutschlands Auslandsgeheimdienst, der Bundesnachrichtendienst (BND), das Licht der Welt. Voraus ging dem eine lange und komplizierte Schwangerschaft. Sie begann mit einer Vorahnung.

Hitlers Heeresgeheimdienstchef Generalmajor Reinhard Gehlen sah die militärische Niederlage des Dritten Reichs kommen. Heimlich vergrub er 50 Stahlkisten mit Materialien seines Dienstes „Fremde Heere Ost“ (FHO) in den bayerischen Bergen. Nach dem Sieg der Alliierten übergab er sie den Amerikanern, die den Wert sofort erkannten: Niemand wusste so viel über die Sowjetunion wie die FHO.

Gehlen, ein ehemaliges NSDAP-Mitglied, wurde in der heraufziehenden Konfrontation der Systeme ein gefragter Mann und durfte unter amerikanischer Aufsicht weitermachen als „Organisation Gehlen“ (OG). Das war im Juni 1946. Bei den alten Kameraden von SA, SD und SS war der Dienst sehr beliebt, war damit doch gleich auch eine Namensänderung verbunden.

Nazis...

Erst am 1. April 1956 ging der Dienst in deutsche Hände über und bekam ein neues Türschild. Der Bundesnachrichtendienst war gegründet. Gehlen blieb bis 1968 Chef, bevor ihm Gerhard Wessel folgte. Erst 1979 folgte mit dem FDP-Mann Klaus Kinkel einer ohne NSDAP-Geschichte. Das jedoch war die einzige Änderung, der BND konnte weiterhin freihändig operieren. Eine gesetzliche Grundlage mit der Aufgabe, sicherheitspolitische und -relevante Erkenntnisse über das Ausland zu gewinnen, bekam er erst 1990.

Angesichts solcher Erziehungsfehler verwundert es nicht, dass die Geschichte des BND mit Skandalen geradezu gepflastert ist. Sie reichen bis in die Anfangsjahre zurück: Obwohl ihm Aufenthaltsort und Deckname des Naziverbrechers Adolf Eichmann in Chile bereits seit Jahren bekannt war, gab der BND diese Information erst 1958 preis. Erinnert sei auch an die Zusammenarbeit mit dem als „Schlächter von Lyon“ bekannt gewordenen Kriegsverbrecher Klaus Barbie oder dem berüchtigten Neonazi und Wehrsportgruppenführer Udo Albrecht.

Die bevorstehende Wende

hatte der BND verschlafen

Gleich reihenweise konnten der sowjetische KGB und die DDR-Staatssicherheit eigene Spione in BND-Büros platzieren. Der Bekannteste war Heinz Felfe. Ihn hatte der KGB bereits in Gehlens OG eingeschleust und war dadurch bestens informiert, insbesondere über Gehlens Machtkampf mit dem Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Otto John.

...DDR-Spitzel...

Ähnlich erfolgreich spionierte Alfred Spuhler für die Stasi. Er lieferte Hunderte von Dokumenten nach Ostberlin und enttarnte so rund 300 BND-Agenten. Er selbst und auch Gabriele Gast im Sowjetreferat flogen erst nach dem Zusammenbruch der DDR auf. Die bevorstehende Wende hatte der BND ohnehin verschlafen. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl sagte nach seinem Ausscheiden über den Nachrichtendienst: „Sein Nutzen war nahezu null. Die wussten überhaupt nichts.“

Auch die jüngere Geschichte liest sich turbulent. Etwa als nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center der Deutsch-Türke Murat Kurnaz in Pakistan festgenommen, gegen Kopfgeld an die USA übergeben und als „feindlicher Kämpfer“ auf Guantánamo interniert und gefoltert wurde. Der BND war dabei. Kurnaz’ Rückkehr lehnte Deutschland jahrelang ab – trotz seiner Unschuld.

Ähnlich erging es Khalid el-Masri, den die CIA Ende 2003 entführt hatte, bevor er Mitte Juni 2004 stillschweigend nach Deutschland abgeschoben wurde. Er erklärte später, bei mindestens einem Verhör sei auch ein BND-Mitarbeiter anwesend gewesen. Obwohl er diesen anhand eines Pressefotos identifizierte, wird dies offiziell bestritten.

...und Edward Snowden

Zuletzt sorgte Edward Snowden für Enthüllungen: Neben der eigenen Nutzung für zum Teil verfassungswidrige Abhöraktionen teilt der BND seine Erkenntnisse im Gegenzug für Spionagesoftware mit den USA.

Gelegentlich erscheinen seine Aktivitäten sinnvoll. So arrangierte der BND-Mann Gerhard Conrad 2008 einen Geisel- und Häftlingsaustausch zwischen Israel und der Hisbollah. Seit Anfang des Jahres ist Conrad der neue Chef des EU-Geheimdienstes Intcen.

Am Freitag ist BND-Geburtstag. Bei einem Budget von rund 560 Millionen Euro sollte auf der Feier für die etwa 6.500 Beschäftigten ein Stück Kuchen abfallen.

Berichtigung: In einer früheren Version dieses Artikels wurde als Gehlens Nachfolger Walter Schellenberg genannt. Es handelte sich jedoch um Gerhard Wessel, der im 2. Weltkrieg ebenfalls mit Gehlen zusammengearbeitet hatte.

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