Heidi Specker in der Berlinischen Galerie: Intelligenz und Intuition

Mit „In Front Of“ setzt sich Heidi Specker erstmals mit dem Menschen und seinem Bild auseinander. Ihre 70-teilige Porträtarbeit überzeugt.

En Bild von einem Gesicht einer Katze,sie hat teilweise grünes Fell

Ausschnitt aus Heidi Specker, In Front Of, Katze, 2016 Foto: Berlinische Galerie

Die Welt wird von Bildern beherrscht. Die Macht der Bilder ist ungebrochen, ihre Vielzahl an Erscheinungsformen ist Stoff für unzählige Abhandlungen zur Mediengeschichte. Trotz aller Aufklärung haben Bilder immer noch eine ungemein emotionale Macht und sind zentraler Bestandteil unserer Selbstwahrnehmung. Visuelle Attraktionen, Täuschungen und Verführungen finden sich überall.

Gerade die technischen Bilder, allen voran die Fotografie, bestimmen als Reportage und Nachrichtenbild, alltägliches Selfie oder Werbe- und Filmbild unsere Weltsicht. Perfektion und Intensität sind dabei die stärksten Waffen im Kampf um die Kolonisation des Bewusstseins.

Umso größer ist der Schock, wenn fotografische Porträts als unvorteilhaft und verzerrend empfunden werden. Die entglittenen Züge, die Falten und Wölbungen des alternden Körpers oder der dümmliche Blick: all das scheint unser Selbstbild zu konterkarieren und den Wahrheitsanspruch der Fotografie infrage zu stellen. Nach mehr als 160 Jahren Fotografiegeschichte müssten wir es besser wissen: Die Fotografie ist kein Medium, das auch nur ansatzweise den Anspruch auf Authentizität erheben kann.

Jedes Bild ist eine Stilisierung der Wirklichkeit, ein forciertes Abbild, still gestellt und fokussiert. Das gilt für jede Fotografie und betrifft uns beim Porträt unmittelbar. Die Geschichte der Porträtfotografie ist vielgestaltig, voll formaler Wendungen und in ganz unterschiedlichen Kontexten zu finden: als Mittel der Repräsentation, als privates Andenken oder als erkennungsdienstliches Dokument.

„In Front Of“, bis 11. Juli, Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124–128, Berlin

Mi.–Mo. 10–18 Uhr, Katalog (Snoeck Verlag) 29,80/34 Euro; Künstlergespräch 28. April, 18 Uhr

Und dann gibt es die Fotografie im Kontext der bildenden Kunst, die gleichermaßen Ästhetik und Psychologie, gesellschaftliche Bedeutung und historische Einbettung des Porträts reflektiert. Die 1962 in Damme geborene Fotografin Heidi Specker legt nun aktuell in der Berlinischen Galerie unter dem Titel „In Front Of“ (2015) eine 70-teilige Porträtarbeit vor.

Mischung aus Intelligenz und Intuition

Dabei zeigt sich schnell, dass es der Künstlerin um eine intensive Durchdringung des Phänomens und eine Infragestellung der Möglichkeit, Person und Persönlichkeit abzubilden, geht. Specker nimmt sich in der aktuellen Ausstellung zum ersten Mal des Porträts an.

Und sie tut dies mit der gleichen Mischung aus Intelligenz und Intuition, die auch ihre früheren Arbeiten prägte. Darin hatte sie meist urbane Räume und Architekturen visuell durchkreuzt und immer wieder die große Lücke zwischen Ding und Bild betont oder der den Widerspruch zwischen Natur und Kultur thematisiert.

Speckers Œuvre zeigt deutlich, dass es die Fotografie als universelles Medium nicht gibt. Die Fotografie ist keine Sprache, die überall gleich verstanden wird. Wie jede Sprache hat sie eine bestimmte Grammatik und Zeichenhaftigkeit. Sowenig das Wort das Ding, das es beschreiben soll, wirklich trifft, so sehr verfehlt auch die Fotografie ihren eigentlichen Gegenstand und schafft ein Bild, das der Wirklichkeit mal mehr, mal weniger nah ist.

Im Porträt zeigt sich dieser Umstand am deutlichsten, betrifft es uns doch unmittelbar als Menschen. Schauen wir in das Antlitz eines anderen, schauen wir auch in unser eigenes Gesicht. Oder eben nicht. Denn Bilder sind stets geprägt von Manipulationen, Abhängigkeiten und Projektionen. Und genau an dieser Stelle hakt Heidi Specker ein. Sie zeigt uns Porträts in der Halbtotalen, im Anschnitt, im Profil oder im Detail.

Sie kombiniert diese mit Raumansichten und merkwürdigen Stillleben von Accessoires. Sie zeigt Gesichter, die frontal in die Kamera schauen oder sich wegdrehen, Personen, die scheinbar umkreist werden oder deren Gesicht zur Kamera gedreht wird. Auf einigen Bildern ist das Antlitz gänzlich verdeckt. Specker geht in der visuellen Verwirrung und Verweigerung aber noch weiter und zeigt uns etwa die (künstliche) Grafik eines Katzenkopfes als Aufdruck auf einem Sweatshirt.

Gleichzeitig werden im Anschnitt die giftgrün gefärbten Haare einer Person oder Perücke sichtbar. Wir sehen alles, aber kein Gesicht. Und was wir sehen, ist Teil einer visuellen Kultur der Verfremdung, der Überzeichnung, der Unterstellung oder einer absonderlichen Infantilität. Specker stemmt sich mit den Mitteln der Fotografie gegen deren Wirkungsmacht und seziert das Medium, ohne dabei akademisch zu sein.

Bildgeschichte des Porträts

Soziologisch betrachtet, ist der Porträtdiskurs reich an medialen, ästhetischen, psychologischen und historischen Verweisen. Die Bildgeschichte reicht von den ersten verkrampften und still gestellten Porträtsitzungen im 19. Jahrhundert über situative Fotografie auf der Straße bis hin zu konzeptuellen Ansätzen. Ein Großprojekt der Porträtfotografie war das Mappenwerk „Antlitz der Zeit” (1929) von August Sander.

Systematisch und mit großer Präzision fotografierte Sander Typen unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten. Es ist offensichtlich, dass Specker dieser historischen Systematik nicht folgt, denn die Menschen des 21. Jahrhunderts sind weitaus schwieriger zu kategorisieren und sind auch Opfer ihrer eigenen medialen Darstellung geworden.

Dass es so etwas wie das gültige Bild einer Person nicht gibt, zeigte schon Thomas Ruff Mitte der achtziger Jahre mit seinen „Porträts“. Die zum Teil riesengroßen Bilder führten die Betrachterinnen in eine Bildwelt der Kälte und Undurchdringlichkeit. Speckers Vorgehen ist gänzlich anders, strukturalistischer, dezentraler und widersprüchlicher. Die Fotografie erscheint in ihrer Arbeit wie ein semantisches Kauderwelsch, das je nach Wissensstand und Interesse gelesen werden kann.

Die unmögliche Möglichkeit des Porträts haben seit den späten Sechzigern Künstler wie Lee Friedlander oder Victor Burgin durch Bildstörungen, Sequenzen und theoretische Kommentare vorgeführt. Gleichzeitig gibt es immer auch die Schönheit und visuelle Verführung, wie sie etwa Rineke Dijkstra in ihren frühen Arbeiten zeigte. Heidi Specker fügt der Diskussion einen wichtigen neuen Aspekt hinzu.

Sie deckt die Verfehlungen der Fotografie auf, bleibt aber den Bildern treu und ist eine Komplizin der Porträtierten, gerade weil sie sie benutzt, ohne sie dabei zu kompromittieren. Die Bilder machen Lust auf immer mehr Bilder, auch wenn wir wissen, dass wir letztlich nichts über die Personen erfahren werden.

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