Do kommt d ’r Winfried

Neuer Stil Grün ist in Baden-Württemberg das neue Schwarz. Die einen freut‘s, die anderen nicht. Ist Kretschlandpolitik Vorbild für die Bundes-Grünen?

Symbolpolitik mit Krawatte. Kretschmann nach dem Wahlsieg, März 2016 Foto: dpa

Ablasshandel

betr.: „Kompromister Germany“,taz vom 19. 3. 16

Ich freue mich jedes Mal, wenn Peter Unfried mir die grüne Parteilinie erklärt. Das wird dann immer zur Ode an den Pragmatismus. Die Gleichung ist dann Pragmatismus = Realoflügel. Das Fazit: Besser kleine Schritte als nichts. Dabei wäre manchmal die Frage schon angebracht, wie weit die Grünen noch vom Nichts entfernt sind.

Ein schönes Beispiel ist der Porsche-Fahrer, der ja laut Artikel nicht verschreckt werden soll. Der Meister hat es vorgemacht. Am Anfang hat Kretschmann noch keck vorgeschlagen, man könne ja etwas weniger Auto fahren. (Dieser Gedanke sollte einen Grünen Wähler nicht befremden.) Darauf brach dann die vornehme Variante eines Shitstorms über ihn herein. Er hat dann sofort Buße getan und eine S-Klasse als Dienstwagen gewählt. Damit hat er etwas für sein Seelenheil getan, aber die Chance verpasst, durch eine etwas weniger staatstragende Karosse ein Zeichen für Bescheidenheit zu setzen. Konsequenterweise ist Stuttgart nach fünf Jahren grüner MP und einigen Jahren grüner Stuttgarter OB immer noch Deutschlands Feinstaubhauptstadt. Die Innenstadt wird immer weiter zubetoniert, damit auch der letzte Windhauch sich in den Häuserschluchten verheddert. Deshalb beschleicht mich immer mehr der Eindruck, dass die Grünen eigentlich im Ablasshandel unterwegs sind

THOMAS DAMRAU, Böblingen

Grün-katholisch

betr.: „Kompromister Germany“,taz vom 19. 3. 16

Der Konservative bei den Grünen? Irgendwie klingt das immer so, als ob sich Kretschmann in der Partei geirrt habe. Dabei würde er in keine andere Partei passen als die, die er mitgegründet hat. Ja, er ist wertkonservativ – das nehmen aber auch Grüne vom linken Flügel für sich in Anspruch. Die Union dagegen ist vor allem strukturkonservativ, an Werten (zumindest nichtmonetären) hängt sie weniger. Dieser grundsätzliche Dissens macht eine grün-schwarze Koalition so schwierig.

Das Besondere an Kretschmann ist vielleicht, dass er grün-katholisch und auch noch Oberschwabe ist: In Oberschwaben katholisch sozialisierte Menschen neigen zumindest meiner Erfahrung nach eher dazu, Verstöße gegen Dogmen nicht so ernst zu nehmen und zu verzeihen. Kretschmanns Politik ist durchaus „in der Wolle grün gefärbt“, auch wenn er mitunter für viele schwer zu verdauende Kompromisse eingeht, um Dinge zu erreichen, die ihm aktuell vordringlich erscheinen. Insofern ist er vor allem pragmatisch – was wiederum oberschwäbischer Mentalität entspricht. Kretschmanns Erfolg rührt genau daher: Grüne Politik, pragmatisch zielorientiert und weltoffen, mit einem stabilen Werte- und auch Methodengerüst im Hintergrund, aber ohne starre Dogmatik. Das Problem der Grünen, gerade auch in Baden-Württemberg, ist allerdings, dass viele Wählerinnen und Wähler dies eben nicht als typisch grün erkennen. Aber das kann sich ja noch ändern.

MICHAEL ECKER, Ravensburg

Im Porsche-Reich

betr.: „Kompromister Germany“, taz vom 19. 3. 16

Der gute Kompromiss? Aha!

Kretschmann sei Dank können wir allen Blödsinn wieder diskutieren, auch wenn er von vorgestern ist. Die sogenannte integrative Ansprache von „Kretsche“ ist hoffähig und Bütikofer (im Europaparlament für die Grünen) nennt „das Sprechen mit den Leuten und nicht zu den Leuten“ als eine der Erfolgsformeln der Grünen (aha, und was haben die vorher gemacht?). Ein kleines Problem der Grünen, dass sie in unterschiedlichen Parteiphasen agieren, sollte man doch bereinigen können. Genauso wie sie die Porschefahrer in eine „reparative Struktur der Wechselseitigkeit hineinholen“ können. Plötzlich hat die Idee der kollektiven Handlungsfähigkeit wieder Konjunktur.

Das Phänomen Kretschmann ist aus Baden-Württemberg-Sicht viel einfacher zu erklären: Der CDU-Filz und CDU-Größenwahn hat in Guido Wolf seinen traurigen Protagonisten gefunden. Die Angst, ihn als Ministerpräsidenten zu bekommen, war selbst in CDU-Kreisen ziemlich hoch. Und wir wissen doch, wie sicherheitsbewusst wir Deutschen sein können: Ja nichts ändern, es könnte ja schlechter werden!

Und nun zu den Kompromissen. Das Wesen der Demokratie besteht in der Auseinandersetzung. Damit es klar wird: Auch der Cayenne-Fahrer fährt nicht automatisch im Reich des Bösen. Er fährt aber öfter in Reichen, die nicht von dieser Welt sind. Sprich: Das Gemeinwohl profitiert im Allgemeinen sehr wenig von Superreichenideen, zum Beispiel der Profitmaximierung. Das ist aber nicht das Hauptproblem. Das Böse schlummert in uns allen. Schau doch mal in Facebook oder Twitter in den Posts der AfDler und da besonders auf die „Trolle“. Da seht ihr das Gedankengut der Braven und Benachteiligten. Geh doch mal zu denen und versuche eine „reparative“ Stimmung zu betreiben. Prost Mahlzeit.

In der Auseinandersetzung liegt die Kraft der Demokratie. Diese Ausein­andersetzung darf nicht abgleiten in die dunklen Kanäle einer neuen Sprache, die plötzlich für alles und Böses Verständnis empfindet und es jedem recht machen möchte. Die abstruse Idee der Volkspartei wird plötzlich bei den Grünen hoffähig. Was für ein Blödsinn. Wahlkampf für immer!!

In jeder Krise gibt es Gewinner und Verlierer. Wir dürfen die Werte (die halten wir doch immer so hoch), die unserer Demokratie zugrunde liegen, nicht verkaufen für Strategien aus dem Nirgendwo. Begrifflichkeiten wie „kollektive Handlungsfähigkeit“ helfen da nicht weiter (die gibt es nämlich gar nicht). Kretschmann ist ein prima Phänomen unserer heutigen Krise. Gut, dass er gewonnen hat und die AfD zunächst einmal „nur“ unser hässliches Gesicht gezeigt hat.

WOLFGANG RAUCH, Kronau

Klimaapokalypse

betr.: „Kompromister Germany“,taz vom 19. 3. 16

Ich bin ein Grüner, der lieber nicht sagt, dass er von Porsche-Cayenne-Fahrern gewählt werden möchte. Dafür gibt es mehrere sachliche Gründe von unterschiedlicher Qualität, unabhängig von Frustration, Feindbildklitterung und Verbitterung.

1. Es gibt gar nicht so viele Porschefahrer, dass man damit Wahlen gewinnen kann.

2. Sollte uns ein Porschefahrer wählen: Ich bin nicht dagegen, aber ich habe ihn nicht darum gebeten. Es könnte gut sein, dass ich ihm den Spaß am Porschefahren versaue, wenn ich mal an der Macht bin, zum Beispiel mit ökologisch sinnvollen Ideen wie Tempo-30-Zonen, Citymaut, Tempolimit auf der Autobahn, neue Ökosteuer auf Benzin und Diesel zur Finanzierung eines besseren ÖPNV etc.

Ich fordere, dass unser Lebensstil sich radikal ändern muss, so um minus 6 bis 8 Prozent CO2/Jahr und noch viel mehr – und dann dürfen die Grünen sich auflösen oder mit der CDU fusionieren. Wir haben einfach viel zu wenig Angst vor dem Klimawandel und verdrängen die Gefahr jeden Tag aufs Neue, an dem wir unseren Lebensstil eben nicht konsequent ändern. Die Apokalypse hat aber schon längst begonnen.

MICHAH WEISSINGER, Essen