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: Zsuzsa Bánks „Heißester Sommer“

Die erste der zwölf Erzählungen liest man noch ganz gerne. Eine Frau ist auf einem Kongress in einer Stadt und wird plötzlich von der Tochter einer alten, längst vergessenen Freundin angesprochen. Man trifft sich, knüpft an vergangene Zeiten und Erinnerungen an, um den herzlichen Kontakt ebenso plötzlich wieder abzubrechen. Eine Krankheit, ein Sterben, ein Tod – nur andeutungsweise erfährt man davon.

Schon nach wenigen Zeilen stellt sich der vertraute Ton ein, den wir noch aus Zsuzsa Bánks vor drei Jahren erschienenem, vielfach ausgezeichneten und zum Bestseller avancierten Roman „Der Schwimmer“ im Ohr haben. Dieser melancholische, sehnsuchtsvolle Ton, mit dem zuerst Judith Hermann in „Sommerhaus, später“ angeblich den Nerv einer ganzen Generation getroffen haben soll und der sich mittlerweile in der jüngeren deutschsprachigen Literatur als Ohrwurm eingenistet hat.

Je weiter man in das zweite Buch der 1965 in Ungarn geborenen Autorin vordringt, desto mehr beginnen die Erzählungen einander zu gleichen. Mal sind es alte Freundinnen, die sich über den Abstand der Jahre und die verschiedenen Lebensumstände fremd geworden sind, mal ein Mann und eine Frau, denen die Liebe abhanden gekommen ist. Mal schneit es, mal brennt die Sonne vom Himmel. Jemand geht weg. Jemand kommt wieder und hat sich verändert. Ein Mädchen reist in das italienische Bergdorf, aus dem seine Mutter einst in die große weite Welt fortgezogen ist, und findet nichts als ein altes Foto und ein unbestimmtes Gefühl der Geworfenheit wieder.

Zwei ehemalige Freundinnen besuchen alle Jahre wieder zur Weihnachtszeit eine Bekannte, die ihren Verstand verloren hat, in der Klinik und kommen sich dabei auch nicht näher. Eine junge Frau reist nach Amerika zu ihrer Freundin und deren Familie, um mitten in der zugeschneiten Wildnis festzustellen, dass sie sich nichts mehr zu sagen haben. Auf einmal beginnen Orte, Handlungen und Figuren der Erzählungen zu verschwimmen. All diese Lisas und Leas, Lydias und Julias aus den verschiedenen Geschichten wachsen zu einer einzigen Person zusammen, mit hellbraunen, langen Haaren, dicken Schnürstiefeln und diesem schönen, verlorenen Blick. Sie trinken Beuteltee oder Cognac, rauchen und schauen der Wäsche beim Trocknen zu. Schnee fällt, Fernseher flackern, irgendwo läuten Glocken. Was wirklich passiert ist, lässt sich meistens nur ahnen.

Die eigentlichen Katastrophen, Tod und Leid, Verzweiflung und Krankheit, spielen sich zwischen den Zeilen ab. Jeder Hinweis auf Konkretes wird nach allen Regeln dieser Stillstandspoesie tunlichst unterlassen, geht es doch allein darum, eine gewisse Stimmung wohliger Traurigkeit heraufzubeschwören – und das kann Zsusza Bánk.

Regentropfen rinnen die Fensterscheibe herunter, man vergräbt das Gesicht in den Händen oder starrt in den grauen Himmel. Bloß kein zu lautes Wort, bloß keine allzu heftigen Gefühlsausbrüche. Selten, dass mal jemand brüllt oder weint. Meist bleibt es bei einem vagen, nicht näher zu bestimmenden „Etwas“: „Ihr Blick hat sich verändert, etwas hat sich vor das Blau ihrer Augen gelegt.“ Oder: „Sie steht da, und irgendetwas an ihr sieht in diesem Augenblick kleiner, jünger aus.“ Oder: „Seine Stimme klang anders als sonst. So, als wäre in unserer Nähe etwas weggerissen worden, als habe Larry etwas erschreckt.“

Spätestens wenn dann ein paar Erzählungen weiter schon wieder Wassertropfen die Fensterscheibe hinunterlaufen, drängt sich der Verdacht auf, dass die Melancholie hier zur Masche geworden ist.

MARION LÜHE

Zsuzsa Bánk: „Heißester Sommer“. Erzählungen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2005, 152 Seiten, 15,90 Euro