Möglichkeiten Als Antonia Baums Roman über einen verunglückenden Vater erscheint, verunglückt ihr Vater. Darüber hat sie ein weiteres Buch geschrieben
: Kann Schreiben töten?

Darüber schreiben, was Geschichten am Leben erhalten: Antonia Baum Foto: Jürgen Bauer

von Laura Ewert

Dass man bisher kein Buch von Antonia Baum zu Ende lesen konnte, hat wahrscheinlich weniger mit Antonia Baum zu tun als mit einem selbst, schnell aufgebend, vor allem bei Büchern. Der erste Roman mit dem vielversprechenden Titel „Vollkommen leblos, bestenfalls tot“ gab man sich hastig, wegen der Autorin. Die man gut fand, weil sie meinungsmäßig oft am selben Ort stand, aber nun hatte man schnell das Gefühl, irgendwo zu sein, wo man nicht hingehörte, zumindest nicht sein wollte.

Sie musste nach Klagenfurt (oder war das vorher?) und ihr zweiter Roman erschien dann im vergangenen Jahr. Er hatte einen noch besseren Titel, der aber viel zu lang ist, deswegen schreibt ihn keiner auf. Er fing auch ganz und gar großartig an: Halb verwahrloste Schrottplatz-Kinder, die von sich und ihrem Vater erzählen. Aber irgendwas hat einen dann rausgebracht. Und so liegt es da immer noch am Bett. Aber eine Freundin hat gesagt, es sei nicht nur genial, fast serienmäßig geschrieben, sondern auch noch komisch. Und so muss man es als persönlichen Sieg feiern, jetzt das erste Buch von Antonia Baum zu Ende gelesen zu haben. Es hat sich auch gelohnt.

Die Geschichte, mit der der Verlag „Tony Soprano stirbt nicht“ verkauft, ist genial tragisch: Kurz bevor die Autorin ihr Buch veröffentlicht, das von einem Mann handelt, der ihr Vater sein könnte und dessen Kinder ständig seinen Tod befürchten, verunglückt der Vater der Autorin und sie fürchtet seinen Tod und fragt sich, ob sie selbst das Unglück mit ihrem Buch heraufbeschworen hat.

Der Vater ist Arzt, eine Familie wie aus der Danone-Werbung, mit einem sehr dicken Teppich, vermutlich vor dem Kamin, dann eines Morgens der Motorradunfall und der Vater liegt im Koma. Man könnte jetzt an die Geschichte von Töchtern und ihrer Beziehung zum Vater denken – „keiner wird mich je so lieben wie duhuhu“, aber so ist das nicht. Und am Ende geht es gar nicht mehr so sehr um den Vater und die Sorge, sondern vielmehr um den Unterschied zwischen Gedanken und Realität. Und wie oft sich das überschneidet. Wie man sich das Erleben wünscht. Auch damit man all das ertragen kann.

Nach der Lektüre von „Tony Soprano stirbt nicht“ will man Baums andere Bücher doch lesen. Weil dieses Buch manchmal klingt wie eine Rechtfertigung ihrer vorherigen. Denn es geht um das Erzählen. Wie man schreibt. Wie sie schreibt. Es ist nicht nur Nachdenken über das Sterben, sondern eher darüber, wie Geschichten alles am Leben erhalten. Und das ist natürlich superschlau konstruiert. Denn man weiß ja eigentlich nicht, hat die Autorin wirklich diese Geschwister, hatte der Vater wirklich diesen Unfall, manchmal deutet sie an, die Handlung von echten Handlungen abweichen zu lassen, aber wer macht das? Vielleicht ist alles ein geniales Spiel mit den Ebenen? Spielt deswegen auch Tony Soprano eine Rolle, werden Filme zitiert?

Was man weiß, dieses Buch gibt es natürlich, und Baum arbeitet im Feuilleton der FAS, so ähnlich steht das auch im Roman. Und das Tolle an ihren Texten in dieser Zeitung ist, dass man oft das Gefühl hat, man könne ihr beim Denken zuhören. Es ist, als schreibe sie in Echtzeit. Mit niedriger Schwelle.

Und in diesem Buch ist es, als führe Baum einmal vor, was sie sonst noch alles kann: Dann flicht sie kleine Horrorsequenzen ein, in denen eine – so sagt man wohl – superstarke Szene vorkommt, in der ein Vater erst vom Familienhund gebissen wird und dann einmal zu oft nach diesem Hund tritt. Oder eine Geschichte, in der eine Alte in Kittelschürze ihren querschnittsgelähmten Sohn wäscht und seine Halblebendigkeit ausnutzt, weil er sich ihrer Liebe nicht mehr entziehen kann. Der ganze Grusel, den es nur in Familien gibt. Aber das sind vielleicht Spoiler, die man hier gar nicht erzählen sollte, weil sie auch überraschend sind. Und vielleicht erzählt Baum sie, um das Schicksal zu provozieren oder um aus dem Buch Fiktion zu machen. Man weiß es nicht. Diese Ebenen.

Man ist also gut unterhalten, um nicht zu sehr über die Endlichkeit nachdenken zu müssen, die ja nie vorgesehen ist. Denken wir lieber ans Schreiben, was es macht, was die Geschichten machen. „Geschichten von Möglichkeiten gegen die Ungewissheit.“ Schreibt Baum auf einer Seite, und dann weiß man wieder, warum man Bücher öfter zu Ende lesen sollte.

Antonia Baum: „Tony Soprano stirbt nicht“. Hoffmann & Campe, Hamburg 2016,144 Seiten,18 Euro