Unsichere Parallelwelten

Hochschulen macht Umstellung auf europatauglichen Bachelor zu schaffen. An der Uni beklagt der AStA Chaos und rechtliche Unsicherheit. Viele Angebote für auslaufende Abschlüsse schon gestrichen

Von Kristina Allgöwer
und Eva Weikert

Wenn am Montag das Wintersemester beginnt, droht nach den Warnungen von Professoren und des AStA in Seminaren und Vorlesungen der Universität Chaos. Erstmals werden jetzt zahlreiche Studiengänge nur noch mit dem neuen Bachelorabschluss angeboten. Für die auslaufenden Studiengänge Magister, Diplom und Lehramt aber können viele Fächer kein Parallelangebot mehr machen, weil die Uni dafür nicht genug Dozenten hat. Wie der AStA beklagt, ist das Prüfungs- und Studienangebot dort nicht mehr gesichert. „An einigen Schnittstellen zwischen altem und neuem Angebot“, räumt Uni-Vize-Chef Holger Fischer ein, „wird es krachen und knirschen.“

Der CDU-Senat hat die Hochschulen verpflichtet, bis 2009 alle Traditionsabschlüsse umzustellen. Grundlage ist ein Beschluss der europäischen Länder, bis 2010 einheitlich Bachelor und Master zu etablieren. Die deutsche Hochschulrektorenkonferenz mahnt, für den Systemwechsel benötigten die Lehrstätten zusätzliches Geld.

Denn die neuen Studiengänge müssen eingeführt werden, während die alten auslaufen. In der Übergangszeit sind die Dozenten Doppelbelastungen oder aber die Studenten problematischen Einheitsangeboten ausgesetzt, wenn aus Mangel an Kapazitäten nicht entsprechend der unterschiedlichen Bedarfe der Abschlüsse gelehrt werden kann.

Der Hamburger Senat stellt kein Geld bereit. „Auch in anderen Bundesländern leisten die Hochschulen die Umstellung aus dem Bestand“, behauptet Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos). Nutze man die Chancen des Systems – „breiter aufgestellte Bachelor-Studiengänge mit flexibleren, interdisziplinäreren Master-Programmen“ –, dann werde „auch die Umstellung qualitativ hochwertig gelingen“.

Chaos befürchtet

An der Uni wurde jetzt etwa ein Viertel der rund 80 Studiengänge auf den Bachelor umgestellt, darunter die Fächer der Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften. Germanistik-Professor Jörg Schönert warnt, weil das neue Angebot „völlig überstürzt“ und ohne zusätzliche Lehrkräfte eingeführt wird, „ist Chaos programmiert“.

Das Ziel der Bachelorstruktur – intensivere Betreuung der Studenten, stärkere Interdisziplinarität und Berufsbezogenheit der Lehre – sei zwar sinnvoll, aber „Utopie“. De facto werde jetzt der Lehrbetrieb durch den hohen Reformdruck bei gleichzeitiger Haushaltssperre „unterminiert“, rügt Schönert. In seinem Bereich würden Anfänger aus den alten Studiengängen und Lehramtsanwärter im Bachelorprogramm mitunterrichtet, obwohl dort eine andere Studien- und Prüfungsordnung gilt und die Inhalte wegen der Befristung auf sechs Semester verdichtet sind.

AStA-Referent Stefan Kühn warnt, an der Uni gebe es „niemanden“, der über die neue Lage rechtlich kompetent beraten könne. Schon seien Prüfungen in den alten Studiengängen weggefallen, was besonders Nachzügler zu Fall bringen könnte. „Die Kompatibilität läuft aus dem Ruder“, sagt auch Schönert.

Uni-Vize-Chef Fischer stimmt zu: „Es sind keine optimalen Voraussetzungen, wenn unter den Bedingungen von Sparmaßnahmen das lehrintensivere System eingeführt werden muss.“ Den Vorwurf von Chaos weist er aber zurück: Die Uni sei „gut“ und einige Bereiche wie die Sprach- und Literaturwissenschaften seien etwa durch Infobroschüren „vorbildlich vorbereitet“.

Mehr Kontrolle

Zugleich biete der Systemwechsel „große Chancen“, wirbt Fischer für die Reform. Die Fakultäten nutzten sie, um die Inhalte ihrer Studiengänge zu erneuern. Für die Studenten sieht er einen Vorteil darin, dass die Anforderungen klarer definiert seien und eine strikte Zeitvorgabe eine „heilsame Beschleunigung“ der Ausbildung bewirke: „Die Masse der Studenten braucht eine gewisse Führung durch den Dschungel.“ Mehr Kontrolle gebe es aber auch für die Professoren, die künftig „nicht mehr irgendwas thematisch vorgeben und ihre Klausuren irgendwann zurückgeben dürfen“.

HAW bangt um Praxis

Problematisch gestaltet sich die Umstellung auch an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW). „In einem verkürzten Studium ist die nachhaltige Verankerung der Praxisphasen schwierig“, meint die Vize-Präsidentin der früheren Fachhochschule (FH), Ulrike Arens-Azevedo. Praktika seien jedoch ein Kern der anwendungsorientierten Hochschule.

Die Hälfte der HAW-Studiengänge ist bereits umgestellt, in einem Jahr soll der Rest folgen. Ähnlich wie Kollege Fischer bewertet Arens-Azevedo den Wechsel allgemein als „außerordentlich positiv“. Der europaweit einheitliche Zwischenabschluss erleichtere den Ortswechsel und erhöhe die Mobilität der Studenten, lobt sie. Kritische Stimmen, die Verkürzung des achtsemestrigen FH-Diploms auf einen nur sechssemestrigen Abschluss berge die Gefahr eines Niveauverlusts, irritieren sie nicht: „Ein kürzeres grundständiges Studium ermöglicht einen früheren Eintritt ins Berufsleben und lässt Raum für weitere Studiengänge in späteren Lebensphasen.“

Noch am Anfang stehen die künstlerischen Hochschulen. Die Rektorenkonferenz der deutschen Kunsthochschulen hatte zunächst beschlossen, die internationalen Abschlüsse nicht einzuführen. „Wir betreiben keine Wissensvermittlung“, begründete im vorigen Jahr Martin Köttering, Chef der Kunsthochschule (HfbK), die Ablehnung der neuen Fristen. Doch am Gesetz kommt die HfbK nicht vorbei. Seit zwei Semestern werden dort Konzepte anderer Unis begutachtet. Ein mögliches Modell wollen HfbK-Mitglieder nächste Woche auf einer Klausurtagung diskutieren.

Die Hochschule für Musik und Theater (HfMT) wird sich erst ab diesem Semester verstärkt mit der Konzeption der Bachelor-Studiengänge befassen. Die zuständige Rektorenkonferenz habe aber bereits ein „Vier-plus-zwei-Modell“ beschlossen, so HfMT-Sprecherin Gabriele Bastians. Auf das vierjährige Bachelor- werde ein zweijähriges Master-Studium aufbauen.

Kunst wartet, Technik eilt

Derweil hat sich die Technische Uni (TU) längst freiwillig von der Tradition verabschiedet. Die TU habe bereits 1994 als erste deutsche Hochschule mit der Internationalisierung begonnen, so Sprecherin Jutta Werner. 15 von 27 Studiengängen seien umgestellt. Allerdings solle der vertiefende Master der TU-Regelabschluss sein: „Wenn Sie über eine Brücke gehen, soll die sicher sein“, sagt Werner. Eine solide Brücke könne aber nicht nach sechs Semestern gebaut werden.