SED wollte Stasi zum Sündenbock machen

DDR-FORSCHUNG Besetzung der Stasi-Zentralen im Dezember 1989 war möglicherweise von der Partei gelenkt

Die Besetzung der Stasi-Zentralen durch DDR-Bürgerrechtler im Dezember 1989 ist neuen Forschungsergebnissen zufolge möglicherweise von der SED gelenkt worden. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt der Stasi-Landesbeauftragten von Sachsen und Berlin hätten sich Hinweise ergeben, dass die Partei den Geheimdienst zum Sündenbock machen wollte, um von der eigenen Verantwortung abzulenken, berichtet die Leipziger Volkszeitung unter Berufung auf den Dresdner Beauftragten für die Stasi-Unterlagen, Michael Beleites.

Die Besetzungen der Bezirksverwaltungen des DDR-Geheimdienstes in Erfurt, Leipzig und Rostock am 4. Dezember 1989 sowie einen Tag später in Dresden seien nicht spontan verlaufen, wird Beleites zitiert. So sei es überraschend, dass Bezirks- und Militärstaatsanwaltschaften als bis dahin enge Verbündete der Stasi plötzlich in allen Städten synchron handelten.

Selbst an Orten, wo es keine Bürgerkomitees gegeben habe, hätten Stasi und Staatsanwaltschaften von sich aus die SED-Presse und Bürgervertreter eingeladen, damit sie die Versiegelung der Archive dokumentierten. „Damit sollte die Erstürmung der Dienststellen verhindert werden“, erklärt Beleites. Auffällig sei auch, dass die Partei durch die Besetzungen insgesamt aus der Schusslinie geraten sei.

Beleites Berliner Amtskollege Martin Gutzeit verweist zudem auf Verhandlungen von Bürgerrechtlern in Berlin am 3. und 4. Dezember mit dem damaligen SED-Regierungschef Hans Modrow, dem amtierenden Stasi-Chef Wolfgang Schwanitz, dem DDR-Innenminister und dem stellvertretenden Generalstaatsanwalt. Dabei sei besprochen worden, ob man einer Erstürmung der Leipziger Stasi-Zentrale durch eine geordnete Besichtigung zuvorkommen könne.

Auf scharfe Kritik stoße das Forschungsprojekt bei dem damaligen Besetzer und heutigen Leiter des Leipziger Stasi-Museums in der „Runden Ecke“, Tobias Hollitzer. Dass die Partei das Vorgehen gesteuert haben könnte, halte er für absurd, wird Hollitzer zitiert. Die Besetzung sei einer der großen Siege der friedlichen Revolution gewesen und keinesfalls im Interesse der SED oder Staatssicherheit. (epd)