Ein Fußballspiel und ein Todesfall

Bundesliga Der 2:0-Erfolg von Dortmund gegen Mainz gerät zur Nebensache, weil ein Anhänger auf der Tribüne einen Herzinfarkt nicht überlebt. Hernach sind die Spieler und Funktionäre sehr von der Reaktionsweise des Publikums ergriffen

Tief betroffen: die Dortmunder Profis nach der Partie vor der heimischen Südtribüne Foto: reuters

aus dortmund Felix Meininghaus

In Dortmund werden sie nicht müde, sich ihrer Fans, ihres Stadions und ihrer einzigartigen Fußballkulisse zu rühmen, die sie am liebsten zum Weltkulturerbe ernennen würden: Größtes Stadion Deutschlands, bester Zuschauerschnitt Europas und größte Stehplatztribüne der Welt – das sind Superlative, die für sich sprechen. Sonntagabend ist die Hochachtung noch ein Stück weit gewachsen, weil die Dortmunder Kulisse angesichts eines Todesfalls auf den Rängen mit großer Sensibilität reagierte.

Reinhard Rauball, Präsident des BVB und der Deutschen Fußball-Liga (DFL), trat nach dem Abpfiff der Bundesligapartie zwischen Borussia Dortmund und Mainz 05 vor die Mikrofone und verkündete mit bewegter Stimme, er habe es „noch nie erlebt, dass Zuschauer ihre Trauer und den Respekt vor dem Tod dermaßen geschlossen darbieten. Das hat es in dieser Form wohl noch nie gegeben, ich ziehe den Hut ausdrücklich auch vor den Mainzer Fans, die sich geschlossen in die Reihe gestellt haben.“

Zu Beginn der zweiten Halbzeit machte in der riesigen Betonschüssel über die sozialen Netzwerke sehr schnell die Nachricht die Runde, dass es auf den Rängen einen Todesfall gegeben hatte. Für einen 79-jährigen Rentner kam nach einem Herzinfarkt jede Hilfe auf der Tribüne zu spät. Ein 55-jähriger Anhänger, der ebenfalls einen Herzinfarkt erlitt, konnte dagegen erfolgreich wiederbelebt und im Krankenhaus stabilisiert werden.

Dass unter solchen Umständen ein Punktspiel stattfand, geriet zur Nebensache: Die heimische Borussia schlug Mainz 05 nach Toren von Marco Reus und Shinji Kagawa vor 81.000 Zuschauern mit 2:0 (1:0) und bleibt damit beste Rückrundenmannschaft. Die Spieler blieben auf dem Rasen zunächst in Unkenntnis von dem Vorfall auf den Rängen und spulten weiter ihr Pensum ab. Marco Reus berichtete nach dem Abpfiff, er sei zunächst „irritiert“ gewesen: „Wir haben nichts mitbekommen, ich habe mehrmals beim Schiedsrichter nachgefragt, warum hier eine solch merkwürdige Stimmung ist.“

„Das hat es in dieser Form wohl noch nie gegeben“

BVB-Präsident Reinhard Rauball

Dortmunds Kapitän Mats Hummels hatte sich zwar gedacht, „dass da etwas passiert sein muss, so, wie sich die Fans verhalten, doch bei den Profis kam erst nach und nach an, um welche Tragweite es sich dabei handelte. Als Kagawa den Ball zum 2:0 ins Netz schob, verzichteten die Dortmunder auf die übliche Jubelarie und liefen nur kurz zusammen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Ultras bereits ihre Fahnen eingerollt und die Südtribüne hatte ihre Gesänge einstellt. Irgendwann begannen sie dann doch wieder zu singen, die ewige Hymne aller Fußballfans: „You’ll never walk alone.“ Dortmunds Mannschaft stand nach dem Abpfiff geschlossen vor den Rängen, teilweise hatten die Profis Tränen in den Augen. Nationalspieler Reus sprach von einem „extem tragischen Ereignis, da rückt das Spiel natürlich in den Hintergrund.“

Für alle Beteiligten war es eine ebenso ungewöhnliche wie beklemmende Situation. Der Mainzer Trainer Martin Schmidt fand es „beeindruckend, wie schnell eine solche Nachricht bei 80.000 durchkommuniziert wird“. In der gespenstischen Stille an einem Ort, an dem man sonst sein eigenes Wort kaum versteht, sei es „enorm schwer gewesen, da noch zu coachen“. Schmidt bemerkte „eine Lethargie, die sich über das Spielfeld legt und die Spieler lähmt“. Sein Dortmunder Kollege Thomas Tuchel erlebte „eine sehr beklemmende Situation“. Für den 42-Jährige war der Vorfall eine Gelegenheit, sich ins Gedächtnis zu rufen, „jeden Tag ernst zu nehmen und zu genießen, jedes Spiel ernst zu nehmen und zu genießen“. Inmitten einer turbulenten Saison, die dem BVB in drei Wettbewerben Spiele im Drei-Tages-Rhythmus beschert, hielten Dortmund und der Fußball für einen Moment inne. Das betraf auch die Mainzer und ihren Trainer: „Wir haben einiges zu verarbeiten“, sagte Schmidt, bevor er sich mit seiner Mannschaft auf die Heimreise machte.