Bremer Cannabis-Aktivist: Der Gratwanderer

Aktivist Hubey kämpft für die Legalisierung von Cannabis. In Bremen betreibt er einen Versand für ambitionierte Hobbygärtner.

Wurde durch eine Razzia in seinem Versandhandel politisiert: Hubey. Foto: Ann-Kathrin Just

BREMEN taz | Hubey rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Er ist unruhig. Angespannt, als würde er gleich dazwischengrätschen wollen, was er sich aber dann doch verbietet. Hubey nennt sich der Mann im Netz, der eigentlich Beypinar-Ehlerding heißt. Er ist ein Bremer Versandhändler, der sich durchaus mit einiger Virtuosität auf der Schwelle zur Illegalität bewegt. Und diese Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss kann dafür sorgen, dass sich die Schwelle verschiebt – etwas, oder um sehr viel.

Sehr viel, das fände der Mann, der sich Hubey nennt, zweifellos am besten: Bremen plant die Cannabis-Legalisierung. Im Koalitionsvertrag von Rot-Grün steht sie als Ziel. Bürgermeister Carsten Sieling hat damit bundesweit Schlagzeilen gemacht, dass er sich als erster Regierungschef eines Bundeslandes dafür ausgesprochen hat, den kontrollierten Haschisch-Verkauf einzuführen. Aber ob allgemein oder nur als Medikament, das ist die Frage, die von den Deputierten für Gesundheit und Verbraucherschutz noch abzuwägen ist. Und jetzt reden die alle nur über Patienten und Psychosen.

„Die Konsumenten ohne Probleme werden gar nicht thematisiert!“, echauffiert sich Hubey in der Hearing-Pause. Schnell bildet sich ein Grüppchen um den großen Mann mit der schwarzen Schirmmütze, bestehend aus einer weißhaarigen Frau und zwei Schuljungen. Die Jungen sind wie Hubey Mitglieder im Hanfverband und machen ein Schulprojekt zur Cannabis-Legalisierung in Bremen. Sie wollen von Hubey wissen, wie viel die derzeitigen Strafverfahren gegen Cannabis-Konsumenten insgesamt kosten, und wirken erleichtert, dass wenigstens einer nicht über Psychosen und schwere Suchtstörungen redet, sondern über Cannabis als Heil- und Genussmittel.

Hubey hat keine Rastalocken. Er trägt ein violettes Hemd, darüber ein schwarzes Jackett, der grau-weiße Bart und die Haare sind akribisch rasiert. Bei näherem Hinsehen erkennt man einen breiten goldenen Schmuck an seinem rechtem Ohr und durchsichtige Hörgeräte. Die trägt er, weil er früher zu laut Musik gehört hat.

Wenn Hubey sich unter die geladenen ExpertInnen mischt, wirkt er souverän. Cannabis ist sein Thema. Da lässt er sich nix erzählen, auch wenn er seine Erfahrungen und sein Wissen nicht von der Uni hat. Den Kampf für die Legalisierung führt er auf der Straße, gewaltfrei, auf Demos wie der Hanfparade oder dem Global Marijuana March, den er in Bremen seit vier Jahren allein organisiert.

Hoffen auf das kleine Bundesland

Dieses Jahr hofft er auf besonders viel Publikum. Die Demo könnte sogar die größte in Deutschland werden, denn seit der Bremer Bürgermeister angekündigt hat, die Legalisierung voranzutreiben, hoffen viele LegalisiererInnen auf das kleine Bundesland. In Bremen könnte zum ersten Mal in Deutschland an einigen staatlichen Stellen Cannabis an Erwachsene verkauft werden – wenn alles klappt.

In Hubeys Erzählungen klingt es so, als seien die Bremer Behörden in den 80ern und 90ern der Tolerierung näher gekommen als heute. „Überall wurde gekifft“, sagt er. In den Headshops hing der schwere Cannabis-Rauch und unter der Theke wurde gedealt

Viele Versuche sind bisher gescheitert, der letzte war ein Volksbegehren zur Legalisierung von Cannabis in Bayern. Das bayerische Verfassungsgericht hat das abgelehnt mit der Begründung, dass eine Legalisierung nicht mit dem Bundesrecht vereinbar sei. Das war im Januar.

In Berlin hat das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg ein Jahr lang versucht, eine Ausnahmeerlaubnis für den Verkauf von Cannabis zu bekommen. Dafür hat es einen Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gestellt. Es bestehe ein öffentliches Interesse am Ende des Verbots, argumentierte das Bezirksamt. Es gehe darum, die Drogenkriminalität in den Griff zu bekommen. Das Bundesinstitut lehnte den Antrag ab und verwies – wie das bayerische Verfassungsgericht – auf das Bundesrecht. Nur dort, genauer im Betäubungsmittelschutzgesetz, könne die Legalisierung von Cannabis erreicht werden – durch eine Gesetzesänderung. Hubey hält das derzeit nicht für realistisch: „Es gibt zwar viel Aktivismus, aber die Regierung blockiert die Legalisierung“, sagt Hubey.

Dennoch lässt er sich nicht entmutigen. Wenn die Legalisierung in Bremen erst einmal auf dem Weg ist, will er „der Mann aus der Praxis“ sein und dem Senat mit Rat und Tat zur Seite stehen – so wie seinem Freund Andreas Müller, einem prominenten Befürworter der Legalisierung und Redner auf dem diesjährigen Global Marijuana March in Bremen.

Der Jugendrichter

Müller, Jugendrichter in Bernau bei Berlin, hat vor zehn Jahren ein Normenkontrollverfahren gegen das Cannabis-Verbot vor dem Bundesverfassungsgericht angestrengt. Er ist überzeugt, dass eine Initiative im Bundesrat den Anstoß für eine Gesetzesänderung geben kann.

Auf der ExpertInnenanhörung sitzt der Jugendrichter auf der langen Expertenbank und wettert in die U-förmige Sitzanordnung der Bürgerschaftsabgeordneten. Er kritisiert die Strafverfolgung von Jugendlichen, die ihm vor der Anhörung gestehen, dass sie kiffen. Bei ihm fühlten sie sich aufgehoben, weil sie wüssten, dass er für die Legalisierung eintritt, sagt der Jugendrichter. „Wir brauchen Offenheit im Umgang mit diesem Thema, um früher Prävention zu schaffen“, sagt Müller mit dröhnender Stimme. Die Bürgerschaftsabgeordneten sind mucksmäuschenstill.

Jugendschutz ist auch ein Anliegen von Hubey. „Ich bin Ausbilder, habe 2 Kinder, mache Sport und ich kiffe. Na und?!!“ steht auf seinem Facebook-Profil. Als Jugendlicher hätte er einer von denen sein können, die vor Jugendrichter Müller auf der Anklagebank sitzen. Mit elf Jahren rauchte er heimlich das erste Mal das Haschisch seines Vaters, ein paar Jahre später trennten sich seine Eltern. Hubey zog mit seinem türkischstämmigen Vater nach Istanbul. Es ist Ende der 70er, das türkische Militär hat gerade erst geputscht. Der Alltag in der türkischen Metropole wird beherrscht von Repression – sogar Kinder verschwinden, wenn sie sich regimekritisch äußern.

Zu Beginn spricht Hubey kein Türkisch und nach zwei Jahren hat er immer noch keine Klasse abgeschlossen. Deshalb geht er zurück nach Bremen und zieht zu seiner Mutter. Doch bald überwirft er sich mit ihr und landet schließlich mit 16 Jahren in einer betreuten Jugendeinrichtung. Dort kifft er jeden Tag und schmeißt die Schule. Die Tage vertreibt er sich mit Taekwondo, Boxen und mit seiner Gang „Die Sippe“.

Heute vertreibt Hubey Cannabis-Zubehör: Er ist Leiter des Onlineversandes und Franchise-Unternehmens Udopea. Vier Shops in Deutschland verkaufen seine Ware, einer am Bremer Sielwall, den er über 20 Jahre selbst geleitet hat. Jetzt arbeitet er nur noch in seinem Büro, das in einem Gewerbegebiet liegt. Hier lagert Ware in vielen gelben Kästen: zahllose kleine Artikel wie Blättchen, Feuerzeuge, Pfeifchen, Pfeifenbürsten und falsche Penisse. Es riecht süßlich.

In einem großen, kühlen Lager, das direkt an das Shisha-Bedarf-Lager von Hubeys Bruder angrenzt, stehen Artikel für die Großzucht: Lüftungs- und Bewässerungsanlagen, Schläuche, solche Dinge. Sie hätten „viele kleine Kunden, die interessiert Pflanzen züchten“, sagt Hubey. Dass seine Kunden Marihuana-Pflanzen ziehen, dürfe er nicht sagen. Damit verstoße er gegen das Gesetz.

Offiziell versorgt Hubey darum „HobbygärtnerInnen und Menschen mit ausgefallenen Rauchgewohnheiten“. Wenn ihn jemand nach Cannabis fragt, muss er das Verkaufsgespräch abbrechen. Genauso muss er sein politisches Engagement klar vom Geschäft trennen. Diese Gratwanderung schafft er scheinbar mühelos. Er spricht so offen über viele Tabus, dass man eine Vorahnung von einer Gesellschaft mit legal verfügbarem Cannabis bekommt.

In Hubeys Erzählungen klingt es so, als seien die Bremer Behörden in den 80ern und 90ern der Tolerierung des Cannabis-Konsums schon viel näher gekommen als heute. „Überall wurde gekifft“, sagt er. In den Headshops hing der schwere Cannabis-Rauch und unter der Theke wurde gedealt. Eher pro forma führte die Polizei Razzien durch. Strafverfahren wären nur selten eröffnet worden, sagt Hubey, der selbst in Walle 1989 die „Blubberdiele“ betrieben hatte. Zwei Jahre später lernte er seinen heutigen Geschäftspartner „Ede“ kennen, der ihm 1991 den Shop am Steintor überließ.

Großrazzia im Growshop

„Erst seit 2012 ist die Verfolgung in Bremen massiv geworden“, sagt Hubey. Der deutsche Hanfverband erklärt die Verschärfung mit dem Versuch der Polizei, GroßproduzentInnen zu erwischen. Möglicherweise im Zuge dieser Strategie führte die Polizei im Jahr 2014 in Hubeys Growshop am Steintor eine Großrazzia durch und beschlagnahmte Kundendaten. Kurz darauf durchsuchte sie Wohnungen und sammelte Material für Strafverfahren gegen Hubeys KundInnen.

Der Einsatz sei ein unrechtmäßiger Eingriff in den Datenschutz gewesen, findet Hubey. Um ein oder zwei Großproduzenten zu schnappen, hätten die Bremer Justizbehörden Daten von mehr als 20.000 KundInnen beschlagnahmt. Das war der Moment, in dem er politisch aktiv wurde. Bei der Hanfparade 2014 in Berlin enterte er das Rednerpult.

Hubey ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder, er wohnt draußen im Wald bei Vahrenhorst. Derzeit kifft er fast jeden Tag, pur durch die Pfeife am liebsten, aber eigentlich nur am Abend. Vor der Arbeit, nein, das sei nicht seins.

Seine Ehefrau kifft nicht und seine Kinder auch nicht, sagt Hubey. Und ein wenig scheint er das zu bedauern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.