„Frauen müssen raus aus den Lagern“

Geflüchtete Frauen Die Initiative Women in Exile fordert, dass Frauen gar nicht in Heimen untergebracht werden sollten. Andere Organisationen wollen Standards für die Unterbringung entwickeln. Denn bisher ist es meist Zufall, wo es gut läuft – und wo nicht

Gemütszustände: Das Blatt hängt in einem Schulungsraum eines Flüchtlingsheims Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

von Uta Schleiermacher

Wer geflüchteten Frauen helfen will, der sollte sich dafür einsetzen, dass sie nicht in Massenunterkünften leben müssen. Das fordert zumindest die Initiative Women in Exile, in der sich geflüchtete Frauen zusammengetan haben, um für ihre Rechte zu kämpfen. Denn in den Unterkünften seien Frauen, die Schutz vor Krieg und Verfolgung suchten, erneut Gewalt ausgesetzt. „Frauen müssen raus aus den Lagern“, sagt Elizabeth Ngari, die selbst in einem Flüchtlingsheim gelebt hat. „Wir sind dort nicht ausreichend vor Übergriffen geschützt.“

Gesicherte Zahlen, wie viele Frauen in Flüchtlingsunterkünften Gewalt erfahren, gibt es nicht. Women in Exile sagt, dass ihnen bei einer Tour durch Flüchtlingsunterkünfte in Brandenburg fast alle Frauen, die sie dort getroffen hätten, von Gewalterfahrungen auf der Flucht oder in den Heimen berichtet hätten. Die Gewalt gehe nicht nur von Familienmitgliedern aus, es gebe auch viele Berichte von Übergriffen durch Sicherheitsdienstmitarbeiter, Heimleiter oder Ehrenamtliche. „Schon seit Jahren machen wir darauf aufmerksam, doch die Situation ist für die Frauen eher schlimmer geworden“, sagt Ngari.

Auch Nivedita Prasad, Professorin der Alice-Salomon-Hochschule für Soziale Arbeit, Erziehung und Bildung in Hellersdorf (ASH), setzt sich für die Rechte geflüchteter Frauen ein. Die Situation in den Heimen sei „gewaltbegünstigend“, sagte sie. Doch die Forderung von Women in Exile findet die Professorin für Sozialpädagogik aus mehreren Gründen problematisch. „Bei häuslicher Gewalt verschiebt sich das Problem und wird eventuell ganz unsichtbar. Wenn Familien dezentral in Wohnungen untergebracht werden, sollte das auch mit Beratung unterstützt werden“, sagte sie bei einer Diskussion zur Situation geflüchteter Frauen in einer Unterkunft in Hellersdorf nahe der ASH. „Außerdem sind Heime auch für Männer sehr gefährliche Orte.“ Sie spricht absichtlich nicht von Lagern. Es sei keine Lösung, Frauen und Männer getrennt voneinander unterzubringen.

Die Dozentin beklagt allerdings, dass ein Konzept fehle, um Flüchtlinge in den Unterkünften vor Gewalt zu schützen. „Niemand kann eine Kita eröffnen, ohne ein Beschwerdemanagement vorzulegen, aber bei Gemeinschaftsunterkünften für Flüchtlinge brauchen Betreiber weder ein Beschwerdemanagement noch ein Schutzkonzept“, sagt sie. Es sei daher weitgehend unklar, was überhaupt passiere, wenn eine Frau berichtet, dass sie in der Unterkunft bedroht, geschlagen oder belästigt werde. „Manche Heimbetreiber haben sogar die Vorgabe, dass die Polizei in solchen Fällen nicht gerufen werden soll.“ Es hänge zu sehr von der Gunst der Heimbetreiber ab, was passiere – oder eben nicht passiere.

Die Bedingungen in den einzelnen Unterkünften sind sehr unterschiedlich. Arwa Tarani ist selbst geflüchtet. Am Lageso engagiert sie sich als ehrenamtliche Helferin bei der Caritas. Sie erzählt, dass oft Frauen vor ihr stünden, die weinten oder verzweifelt seien, weil sie mit ihren kleinen Kindern in Turnhallen ohne Privatsphäre leben müssten – besonders wenn ihnen mitgeteilt würde, dass sie mindestens drei Monate in der Notunterkünften leben müssten. Zahraa Elhasoon lebt mit ihrer siebenjährigen Tochter in einer Unterkunft in Lichtenrade. Ihr Zimmer kann sie abschließen. „Wir fühlen uns hier wohl“, sagt sie. Und sie hoffe, dass ihre Tochter die Erfahrungen mit ihrem Vater hier vergessen könne.

Studentinnen der ASH dokumentieren zurzeit Übergriffe, Vorfälle und Beschwerden in der nahe gelegenen Unterkunft, in der die Schule seit 2013 auch einen Raum für den regulären Unterricht nutzt. Aus den Erfahrungen dort wollen Dozentinnen und Studentinnen ein Anti-Gewalt-Konzept für Flüchtlingsheime erarbeiten. „Wir hoffen, dass das Schutzkonzept auch von anderen Heimen übernommen wird“, sagte Prasad.

Frauen machen die Hälfte der Menschen aus, die derzeit weltweit auf der Flucht sind. Unter den Flüchtlingen, die in Deutschland ankommen, sind nur 30 bis 40 Prozent weiblich.

Eine EU-Aufnahmerichtlinie legt Standards für den Umgang mit besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen fest, Deutschland hat diese Richtlinie noch nicht umgesetzt.

Nächste Woche öffnet die erste Unterkunft mit 50 Plätzen nur für die besonders schutzbedürftige Gruppe allein reisender Frauen mit kleinen Kindern in Friedenau. Weitere Unterkünfte nur für Frauen sind geplant. (usch)

Denn bisher fehlen verbindliche Standards für die Unterbringung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge, zu denen auch Schwangere und alleinerziehende Frauen mit minderjährigen Kindern zählen. Auch Schwangere würden daher in Turnhallen untergebracht. „Wir müssen nun schnell Konzepte und Richtlinien entwickeln“, fordert daher die Juristin Heike Rabe vom Deutschen Institut für Menschenrechte. „Der Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt und sexueller Belästigung in Heimen wird zurzeit kaum diskutiert“, kritisiert Rabe. In der Diskussion über die Unterbringung von Flüchtlingen ginge es meist nur um das Problem, geeignete Gebäude für Unterkünfte zu finden, nicht darum, wie passend diese Unterkünfte seien.

Auf Länderebene gebe es teilweise schon Handreichungen, wie Frauen besonders geschützt werden könnten, es blieben aber eben meist Empfehlungen. „Diese einzelnen Maßnahmen müssten nun möglichst schnell gebündelt werden und in konkrete und verpflichtende Vorgaben für ein Gewaltschutzkonzept umgesetzt werden“, fordert Rabe. „Wir brauchen zum Beispiel Ablaufpläne, wie bei Meldungen von Gewalt vorgegangen wird, damit das nicht von der individuellen Einschätzung von Sicherheitsdienstmitarbeitern abhängt.“

Da mehr Männer als Frauen in Berlin ankommen, seien die Heime hier oft männlich dominiert. Rabe und Prasad setzen sich daher für eigene Schutzräume für Frauen in den Heimen ein. „Die Erfahrung zeigt, dass Frauen oft nicht unmittelbar von Gewalterfahrungen berichten, sondern sich oft erst über andere Themen öffnen“, berichtet Prasad. Daher sei es wichtig, solche geschützten Räume zu schaffen oder Frauen auch die Möglichkeit zu eröffnen, die Heime regelmäßig für Sprachkurse oder Freizeitaktivitäten zu verlassen. „Wir wissen aus der Arbeit mit Frauen, dass es ihnen oft schwer fällt, über Gewalterfahrungen zu sprechen“, sagt Rabe. Das beträfe besonders geflüchtete Frauen. „Sie haben Angst, dass das ihr Asylverfahren beeinflussen könnte, wenn sie ihre Männer anzeigen.“ Auch deshalb sei eine langfristige Arbeit mit den Frauen so wichtig.