„Kurzfristig profitieren Haushalte mit Vermögen“

Finanzen Wirtschaftsforscherin Kerstin Bernoth erklärt die soziale Wirkung der EZB-Anleihekäufe

Kerstin Bernoth

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ist stellvertretende Leiterin der Abteilung Makroökonomie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin. Zudem forscht die Wissenschaftlerin als Professorin für Ökonomie an der Hertie School of Governance in Berlin.

taz: Frau Bernoth, die Europäische Zentralbank (EZB) kauft große Mengen von Firmen- und Staatsanleihen. Sie will die Wirtschaft mit mehr Geld versorgen, um eine drohende Deflation zu verhindern. Wie wirkt sich diese Politik auf die Vermögensverhältnisse der Deutschen aus?

Kerstin Bernoth: Kurzfristig profitieren wohl eher Haushalte mit hohen Einkommen und großen Vermögen. Wie es langfristig aussehen wird, lässt sich augenblicklich schwer abschätzen.

Wie funktioniert der Mechanismus, der den gutsituierten Bevölkerungsschichten zugutekommt?

Indem die EZB Monat für Monat für 60 Milliarden Euro Firmen- und Staatspapiere kauft, übt sie eine große Nachfrage aus. Deshalb steigen die Preise dieser Papiere. Das bedeutet aber auch, dass die Verzinsung dieser Anlagen sinkt, also der Gewinn, den man mit ihnen erwirtschaften kann. In der Folge verlagern Investoren ihr Kapital beispielsweise zu Aktien und Immobilien. Daraufhin steigen deren Preise. Wer etwa ein Haus besitzt, profitiert. Wer keins hat, tut das nicht.

Haben Privathaushalte ohne Aktien- und Immobilienbesitz nicht auch Vorteile, weil infolge der EZB-Politik die Kreditzinsen sinken und Konsumentendarlehen billiger werden?

Mit diesem Effekt ist grundsätzlich zu rechnen. Gegenwärtig macht er sich aber kaum bemerkbar, weil das Zinsniveau sowieso schon niedrig ist. Wenn es der Zentralbank aber gelingt, die Zinsen insgesamt zu drücken, kommt das langfristig auch den Normalhaushalten zugute. Denn niedrige Kreditzinsen können dazu führen, dass sich Unternehmen zu geringen Kosten verschulden, dass sie investieren und Arbeitsplätze schaffen.

Sollte die EZB ihre Politik überdenken, weil zurzeit eher Wohlhabende profitieren?

Nein. Es ist ja die Aufgabe der Zentralbank, sich um die Stabilität der Preise im Euroraum zu kümmern. Deshalb versucht sie nun mit ihrer Geldspritze zu verhindern, dass die Preise auf breiter Front sinken. Wie das für die Verteilung der Vermögen wirkt, ist ein Nebeneffekt. Dafür ist die EZB nicht zuständig.

Experten gehen davon aus, dass die EZB an diesem Donnerstag beschließen wird, die Summe ihres Wertpapier-Kaufprogramms von aktuell 60 Milliarden Euro pro Monat zu erhöhen.

Der Strafzins von derzeit –0,3 Prozent könnte auf –0,4 Prozent verschärft werden. Den müssen Banken bezahlen, wenn sie Geld bei der EZB parken. Die EZB will Institute dazu bewegen, mehr Kredite zu vergeben, damit die Konjunktur anzuschieben sowie die Inflation anzuheizen. (dpa)

Wer ist denn zuständig? Die Vermögen von Wohlhabenden und Reichen nehmen ja seit Längerem stärker zu als die Mittel der Durchschnittshaushalte.

Die Höhe der Steuern liegt in der Kompetenz des Parlaments und der Regierung. Wer die soziale Spreizung verringern will, muss sich beispielsweise Gedanken über progressivere Einkommen-, Vermögen- und Erbschaftsteuern machen. Ein weiterer Weg, soziale Gegensätze zu moderieren, ist die Bildungspolitik. Je besser das Schulsystem auch Kinder aus bildungsfernen Haushalten fördert, desto eher finden möglichst alle Schüler später gute Arbeitsplätze mit akzeptablen Verdiensten.


Interview Hannes Koch